Wir Poeten wissen, dass sich niemand für uns interessiert (plus Verlosung!)




Poesie ist ein einsames Unterfangen. Nicht nur ihr Verfassen und Redigieren, auch ihre Veröffentlichung. Ich habe gehört, dass die durchschnittliche Erstauflage von deutschsprachigen Lyrikbänden bei 200 liegt. Und, dass die Produktionskosten nicht gedeckt sind, selbst wenn sich diese 200 verkaufen.

Poesie ist der Wandteppich, den niemand wertschätzt. Er hängt hinter dem Sofa im Wochenendhaus, verstaubt, und ist zu wertvoll für den Sperrmüll.

Die meisten Leute, die ich kenne, die Gedichte lesen, schreiben selbst ein paar. Das Publikum bei Lyriklesungen besteht aus diesen Freunden, anderen Dichtern, die auf eine Lesung hoffen, den Gastgebern, vielleicht einem Verleger, und, mit viel Glück und bei freiem Eintritt, ein bis zwei Stammgästen. Wir Poeten wissen, dass sich niemand für uns interessiert.

Ich verstehe das. Oder sagen wir: Ich schwanke zwischen Verständis für das öffentliche Desinteresse an meiner Kunstform und totalem Unverständnis desselben. Das Verschieben von Zeilenumbrüchen ist ein wunderliches - wenn auch überraschend erfüllendes - Hobby. Google Maps kennt weltweit nur ein Lyrikmuseum in Washington D.C. und eine Lyrikbibliothek in London. Buchläden sterben und mit ihnen ihre schmalen Regalecken, in denen die Lyrik üblicherweise versauerte. Plath und Hughes werden bald eine vage Erinnerung sein. Schon jetzt fühlt es sich an, als hätte es die Poesie noch nie gegeben.
Das Bildungssystem und die Medien helfen kaum. Für die Öffentlichkeit ist Lyrik noch immer ein Landsitz weißer alter Herren, dem Minderheitengruppen mit Einwandererakzenten zuarbeiten. Es klafft eine Lücke zwischen dem, was Menschen in Lyrik sehen, und dem, was Poeten sagen. Kein Wunder, dass die Gegenwartslyrik weitgehend unbekannt ist und, folgerichtig, schmerzhaft bedeutungslos bleibt. Sofern wir unsere Gedichte nicht
mit Musik und einem verheißungsvollen Kleid unterlegen, bleibt unsere Arbeit unbemerkt.

Wir mögen uns wohlfühlen in unseren Ecken und Schreibtischstühlen, aber nicht in unserer Unerheblichkeit. Die mangelnde Zugänglichkeit unserer Kunst bedeutet, dass unser Einfluß auf die Gesellschaft frustrierend gering ist. Für das Publikum sind wir nicht Maler oder Fotografen. In aller Regel ist unsere Absonderlichkeit zu absonderlich für das Titelblatt.

Ich kann nur spekulieren, worin diese Entfremdung begründet liegt. Mangelnde Sichtbarkeit, vielleicht ein ewiges Zuspätkommen im Verlauf der Weltgeschichte, keine wirkliche Gelegenheit zum Dialog. Ich möchte meinen Gleichgültigen Leserinnen hier die Geschichte hinter dem Eröffnungsgedicht meines neuen Gedichtbandes anbieten. Es heißt "drei arten betäubung". Reden wir.


drei arten betäubung

ich geh dir jetzt weg weil
dich sitzen zu sehen
nicht zum ausbleiben ist
deine stirn und die augen nicht
von deiner brust und in meiner
die angst vor drei arten betäubung
heut abend noch lang wenn
du dich in die nacht legst und
wendest wie liebender atem
(der raum ist der dunkelste grund
auf den ältesten karten)
mich geht dir jetzt weg weil
zu bleiben nicht aussitzbar ist
und mich selbst mit mir selbst
hier zu teilen nicht wirkt wie du mir.


drei arten betäubung ist ein Gedicht über mein Bewusstsein. Und einen Anästhesisten, den ich eines Abends in einem koreanischen Restaurant kennenlernte. Ich war 2009 noch recht neu in Berlin, in einer sich auflösenden Beziehung und konnte die Ablenkung gut gebrauchen.

Er setzte sich mir gegenüber und wir unterhielten uns. Unter anderem erzählte er mir von den drei Arten der Betäubung: Einnahme, Gas, Injektion. Ich bewunderte ihn und bedauerte, dass er tabu war.

Ich machte mich bald auf den Heimweg, über das Leben in einem Paralleluniversum sinnierend. Das Delta aus Zufall, Anziehungskraft und Selbstbeherrschung war ein bisschen viel; das Rätsel des Lebens zu mysteriös.

Die leicht ungelenk wirkenden Wortspielereien des Gedichts spiegeln mein Unwohlsein in der realen Situation. Die letzten zwei Zeilen, "und mich selbst mit mir selbst hier zu teilen nicht wirkt wie du mir", sind zwar absichtliche Anspielungen auf Masturbation und Geschlechtsverkehr, tatsächlich spreche ich aber von einer geistigen Verbindung zwischen Fremden.

Die englische Übersetzung Hier gibt es die englische Version dieses Artikels, der auch die englische Übersetzung des Gedichts sowie eine tonale Aufnahme dessen enthält.
Verlosung
Ich verlose drei Exemplare der Unterwasserdämmerung. Wer an der Verlosung teilnehmen möchte, schickt bitte bis zum 31. Januar 2015 eine Email mit dem Betreff "Underwaterdawn" an mail (at) anninaluzieschmid (punkt) net. Bitte nicht vergessen, den vollständigen Namen sowie die Postadresse anzugeben.

Unterstützen und kaufen
Die Unterwasserdämmerung kann in jedem Buchladen für 16,90€ bestellt (ISBN-10: 3981506197 oder ISBN-13: 978-3981506198), im Online Shop meines Verlages bezogen, via Email bei meinem Verlag angefragt (für Bestellungen mit Versandadresse außerhalb Deutschlands empfohlen) oder auf Amazon.de gekauft werden. Dort würden mir auch Kundenrezensionen weiterhelfen. Das Weiterleiten dieses Artikels würde meine Arbeit ebenfalls unterstützen. Vielen Dank.

Rezensieren
Wer einen Blog betreibt oder für die Presse schreibt und gerne über die Unterwasserdämmerung berichten möchte, ist dazu herzlich eingeladen. Bitte melden Sie sich per Email bei meinem Verleger.
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