Sascha Pietsch

Peter’s Cutting: Die Frage, die (fast) alle Frauen interessiert!


Bild: Courtesy of Hermès

Es gibt Dinge, die über jedem Zeitgeist und jeder Mode stehen, die nichts mit It-Bags oder Taschen-Sammelleidenschaft zu tun haben, weil sie einfach für sich stehen und als Lebensbegleiter zu sehen sind. Für welche Taschen könnte dieser Satz wie maßgeschneidert sein? Wer dreimal rät, erwähnt sie neben der 2/55 von Chanel sicherlich und der Kelly Bag von Hermès mit Sicherheit: Die Birkin vom Traditionssattler Hermès in Paris. Der Traum von Fashionistas aus aller Welt, Kultobjekt und selbst als Vintage-Stück gehandelt von gleichbleibend hohem Wert und eher ansteigendem Kapital im Kleiderschrank …


Bild: Courtesy of Hermès

Während die Kelly Bag eher als damenhafter Klassiker für Gracia Patricia von Monaco ihren Siegeszug in den Fünfziger Jahren antrat, als die glamouröse Regentin und Schauspielerin das Hermès Geschäft mit ihrer kleinen Tochter Caroline verließ und der Fotograf eine Woche später in der “Paris Match” veröffentlichte, begann der Run der Pariser Gesellschaft auf die Tasche, die ein Mitglied der Hermès Familie für seine Frau schon zwanzig Jahre vorher erdacht hatte. Die Tasche ist heute eines der neuesten Stücke im Musée Emile Hermès, wo alles, was das Familienunternehmen inspirierte, verwahrt wird.
Ein Teil fehlt allerdings, weil es eher eine Sonderanfertigung für eine Kundin war und es gar nicht geplant war, das Stück ins Sortiment aufzunehmen. Als die mittlerweile zu den französischen Kult-Frauen gehörende Gainsbourg Gefährtin Jane Birkin zu Hermès kam, um eine Tasche zu kaufen, hatte sie die Vorstellung etwas zu erwerben, was ihrem lässig-luschigen Korb, den sie aus der Provence mitgebracht hatte, glich. Es sollte keine “Hand”-Tasche im eigentlichen Sinne sein, sondern etwas, was einer Reisetasche glich, in die man alles für den Tag hineinwerfen konnte – inklusive Wechselschuhe und Kosmetiktasche. Eine Art Kumpan für das Nomadenleben, das die Rive Gauche Frau und gebürtige Engländerin wie keine andere Frau vom Typ her verkörpert. Jane Birkin und Hermès, passte eigentlich zu der Zeit gar nicht, aber auch revolutionäre Mädchen werden in England und Frankreich gern etabliert, wenn es um Style und Qualität geht.


Bild: Courtesy of Hermès

Hermès’ “Sac Haut à courroies” existierte praktisch seit der Zeit, als die Familie klassische Sattler waren und Reiseutensilien für Kutschen produzierte, wurde später zur Reisetasche und in heutiger Zeit zum Weekender. Wechselnde Begriffe, zeitloses Design aber Beständigkeit jenseits jeden Trends, etwas, was fast alle Produkte des Hauses bis heute ausmacht. Besonders in Leder mit Leinen und in strapazierfähigem Kalbs- und Rindleder einer der Bestseller des Hauses. Die Garbo reiste genau so damit, wie Douglas Fairbanks oder Diana Vreeland …
Die Ateliers für Spezialanfertigung erkundeten Jane Birkins Wünsche und in schwarzem, strapazierfähigem Leder entstand eine weiche, knautschige Version der Tasche in veränderten Proportionen mit einem Knebel-Verschluss. Die Tasche sah geschlossen genau so gut aus wie geöffnet. Innen wurde eine Schnur installiert, an der die Sängerin ihre Kosmetiktasche und den Haustürschlüssel binden konnte, um beides wieder zu finden. Bekannterweise sind ja solche großen Taschen sonst wie “Schwarze Löcher”, in denen viel verschwindet. 1984 konnte Jean Birkin die Tasche abholen und führte sie danach vom Morgen bis zum Abend mit sich. Also eigentlich geschaffen für Frauen, die wie Abenteurerinnen wirken. Heute etwa könnte man dich vorstellen, dass Caroline de Maigret sich so etwas machen ließe.


Bilder: Courtesy of Hermès

Später, weil Jane Birkin so zufrieden mit der Tasche war, fragte Hermès bei ihr nach, ob sie sie ins Sortiment aufnehmen dürften. Sie existierte fortan in drei Größen und verkaufte sich gut, doch die Kelly war weiterhin absoluter Favorit. Hermès entwickelt immer wieder neue Taschenmodelle und daneben gibt es viele Klassiker, die immer wieder kommen und eine Renaissance erleben. “Constance H” gehört dazu und erfährt aktuell eine neue Blüte, nachdem sie in den Sechziger und Siebziger Jahren “die” Tasche von New York über London und Paris war.
Die “Evelyne” oder die neue “Oxer” sind lässige Taschen und eigentlich ist die Vielfalt der Taschen so groß, dass man individuell in den verschiedensten Ledern seine Hermès findet. Es lohnt sich genau hinzuschauen, denn die raffinierten Schöpfungen sind alle ausgeklügelt und es gibt auch tolle Alternativen zur Birkin. Aber sie scheint die Begierde in aller Welt bei Frauen jeder Kultur und jeden Schlages besonders anzufachen.


Bild: Courtesy of Hermès

Im Gegensatz zum Erscheinungsjahr 1984, in dem der Luxusmarkt aus Europäern, Amerikanern und Japanern bestand und, mit Verlaub gesagt, die Hälfte der Weltbevölkerung weggesperrt war oder vom Konsum ausgeschlossen, Russland, China oder Indien keine Rolle spielten, sind heute die Wartelisten unendlich und durch Medien und vor allem Role Models die Popularität dieser Tasche gigantisch. Aber eine Sache, die zum Birkin Hype führte, ist besonders augenfällig: Bei Befragungen in Großstädten tauchten Anfang des 21. Jahrhunderts die immer stärker werdenden Wünsche von völlig normalen berufstätigen Frauen nach Chanel-Ketten und Birkin Bags auf. Marken, die vorher nur Fashion Insidern oder Modejournalisten geläufig waren, wie Manolo Blahnik oder Christian Louboutin, wurden mit einmal in einem Atemzug mit Esprit oder Strenesse genannt.


Bilder: Courtesy of Hermès

Hermès war in Frankreich lange Zeit eher eine Marke des gehobenen Bürgertums und der Oberschicht – Haute Couture und Marken wie Chanel waren nicht in jedem Sekretärinnen Sprachgebrauch vertreten. Plötzlich und fast über Nacht sollte sich das alles ändern: parallel mit der “Konzernisierung” der Luxusmarken gab es in Amerika eine Fernsehserie, die alles auf den Kopf stellen sollte und ein Thema in den Vordergrund rückte, das bis dahin im Fernsehen und den soliden Medien zu der Zeit ein Schattendasein führte.
Als ich die Serie “Sex and the City” um eine New Yorker Kolumnistin und ihre drei Freundinnen das erste Mal sah, traute ich meinen Augen und Ohren nicht – “Schleichwerbung” an jeder Ecke, ununterbrochener Konsum und Begehren nach Dingen, die sich die vier auch nur Dank ihrer glühenden Kreditkarten leisten konnten und eigentlich das, was für mich immer schon Großstadtalltag war.
Aber plötzlich war es in aller Munde, was vorher nur wenige wussten oder für bedeutend hielten: Wartelisten bei Handtaschen. Was sich mancher verkniffen hatte und nicht zu träumen wagte, schien bei den Protagonistinnen der Serie normal zu sein: wer arbeitet, soll sich auch was gönnen! Ohne Berührungsangst gingen Mädchen plötzlich in Boutiquen, die sie vorher nie betreten haben. Die Serie setzte die Schwellenangst runter, Vergleiche erleichtern häufig Entscheidungen und “Sex and the City” schien so eine Art der “Demokratisierung” des Luxuskonsums zu bewirken.
Louboutin und Blahnik erlebten schwunghaften Aufschwung und plötzlich sprachen einen Menschen auf Sachen an, die man jahrzehntelang unbemerkt getragen hatte, ob die neu seien. Dass die Birkin Bag so in den Focus der Frauen gerückt ist, hat sie sicherlich genau dieser Serie zu verdanken, obwohl sie witzigerweise nur sehr selten erwähnt wurde. Andere Marken, die viel häufiger genannt wurden, bekamen längst nicht die Aufmerksamkeit. Das Zauberwort war “Warteliste”, denn in einer Zeit, wo vieles kaufbar und für Leute, die es sich leisten können, verfügbar ist, ist es der wahre Luxus, das sich Menschen Zeit nehmen und extra etwas anfertigen. Auch ein Grund, warum die Couture so große Zuwächse hat …


Bild: Courtesy of Hermès

Während andere vermeintliche Luxusmarken ihre Kapazitäten gnadenlos erweiterten und meist auch Qualität und Abläufe rationalisierten, hielt Hermès an all ihren Prinzipien fest und fertigt Einzelteile, die individuell in bestem Leder mit dem Atem des Ewigen ausgestattet sind. Die Lieferengpässe nimmt das Unternehmen in Kauf, da es bei so einem Produkt keine Demokratisierung geben kann, die zulasten der Qualität geht. Leder von dieser Güte ist nur begrenzt verfügbar, genau wie erfahrene französische Handwerker, die eine Tasche nach bester Sattler- und Täschner-Tradition von Hand fertigen können. Auslandsproduktion kommt für die Familie nicht in Frage und “Shareholder Value”-Knebel zwingen sie nicht zu Kompromissen. ‘Es geht nur das, was geht’ ist eine Einstellung, die einer Marke eine unglaubliche Stärke gibt und sie nicht verbrennt! Eine schlaue Einstellung, die auf unabsehbare Zeit die Existenz sichert und nicht nur einige Jahre funktioniert.
Außerdem gibt es ja auch noch andere Taschen bei Hermès und die sollte man sich mal in Ruhe anschauen, bevor man fragt, ob eine Bestellung möglich ist, denn die sind vielleicht viel passender als die Birkin. Und es gibt ja auch die Möglichkeit, wie es einst Jane gemacht hat, eine Tasche auf seine eigenen Bedürfnisse herstellen zu lassen. Dadurch kann dann ja auch wieder ein neuer Jahrhundertklassiker entstehen – das ist doch eine sehr verführerische Vorstellung.


Bild: Courtesy of Hermès

Das Original trägt Frau Birkin übrigens gar nicht mehr! Ihre Ur-Tasche wurde gerade in London im Kaufhaus Liberty’s gezeigt. Die Vintage Händlerin Catherine B aus Paris hat sie in Ihrer privaten Sammlung – schön gebraucht, mit Patina und geliebt sieht sie aus!

Auf unseren Fotos aus den Hermès Ateliers sieht man, mit wie viel Liebe die Handwerker jedes Teil entstehen lassen – das geht nur in Ruhe und mit Geduld und vor allem Respekt vor dem Metier. Vielleicht ist es die Liebe, die die Frauen sich ersehnen, wenn sie von einer Hermès Tasche träumen – die Tasche hat sie erfahren, wenn man ihre Schöpfer in den Phasen des Machens betrachtet, spürt man es in jedem Arbeitsgang …

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