Rita in Palma: ein Label ganz nach meiner Kragenweite

In der Kienitzer Str. 101 in Neukölln findet ihr einen Laden, der euch in eine Welt von Schönheit, Zartheit, Eleganz und Luxus eintauchen lässt. Ein ‘Paradies der Damen‘ voller handgemachter Unikate: aufwendig gehäkelte Kragen, Ketten, Ohrringe, Schleifen, Smokingfliegen, Pasties und Handschuhe. Hergestellt werden diese Kunstwerke von türkischen Frauen in Berlin, die Teil eines innovativen und sozialen Geschäftsmodells sind. Ihr befindet euch im Showroom von Rita in Palma – der Welt von Designerin Ann-Kathrin Carstensen und den ‘Häkelköniginnen’, wie sie ihre Mitarbeiterinnen liebevoll nennt. Ein Ort, wo sich verschiedene Kulturen auf Augenhöhe begegnen und gegenseitig inspirieren.

Ich habe Rita in Palma über eine Lieblingskollegin kennengelernt, die eines Tages mit einem wunderschönen Kragen im Büro auftauchte. Kurze Zeit später hatte das Rita-Fieber auch mich gepackt. Schon nach meinem ersten Besuch im Showroom, der mit pastellfarbenen Chesterfield Sofas und einem Art Deco Spiegel an vergangene, glamouröse Zeiten erinnert, hatte ich mich verliebt! Nicht nur in die filigranen Kragen und Schmuckstücke, sondern auch in die Idee und die Geschichten, die dahinter stecken. Umso mehr hat es mich gefreut, dass Ann-Kathrin sich einen ganzen Samstagnachmittag Zeit genommen hat, um mit mir für Modephonie über ihren Werdegang, ihr Label und die von ihr ins Leben gerufene Sozialinitiative – ein Verein für die Integration von Migrantinnen – zu sprechen. Ein so spannendes Gespräch, kann ich unmöglich in nur einem Post zusammenfassen, deshalb möchte ich eine kleine ‘Serie’ daraus machen. Heute stelle ich euch die Initiatorin und das Label näher vor. Teil II widmet sich dem Verein Ritas Häkelclub e.V..

Ann-Kathrin © Gordon Welters

Gute Ideen kommen manchmal ganz unerwartet: Bei einem Sightseeing-Trip Anfang der 2000er Jahre war Berlin für die gebürtige Hamburgerin Liebe auf den ersten Blick: „Diese Stadt hat mich getroffen wie der Blitz. Für mich war dann klar: Ich muss hier leben!“, erinnert sich Ann-Kathrin. Innerhalb von nur zwei Wochen hatte sie ihren Plan in die Tat umgesetzt und sich damit nicht nur für eine räumliche Veränderung entschieden. Berlin inspirierte die damalige Medizinstudentin auch zu einem beruflichen Neustart, indem sie sich für Modedesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft einschrieb. Rückblickend sagt Ann-Kathrin, dass Medizin familiär bedingt und wegen ihrer sozialen Ader zunächst scheinbar nahe lag, aber ihr das Kreative dabei immer gefehlt habe. Eine Entscheidung, die sie nicht bereuen würde, denn für die 36-Jährige Designerin schließt sich heute ein Kreis, indem sie in ihrer Mode Kreativität und Soziales erfolgreich verbindet.

Die Rita-Socke © Fabian Frost

Im Laufe des Studiums kam die Spezialisierung auf Accessoires. Angefangen hat dabei alles mit einem Paar weißen Häkelsöckchen: Eine Seminaraufgabe bestand darin, ein Produkt aus Weleda-Putzlappen zu kreieren. Ann-Kathrin – die schon damals gerne konzeptionell, mit Fotoshoots und Lookbook, einen Kosmos für ihre Entwürfe schuf – erfand gleich eine ganze Figur: Sie nähte nicht nur einen 50er Jahre Mantel aus den Putzlappen, sondern rundete das Outfit mit vintage Pumps und weißen Häkelsöckchen ab, die sie zusammen mit ihrer Griechischen Ziehmutter entwickelte. So fand Ann-Kathrin erstmals zur Häkelkunst, die nicht nur in der Türkischen, sondern auch in der Griechischen Kultur stark verwurzelt ist, und wurde davon fasziniert. Ihre Seminararbeit nannte Ann-Kathrin übrigens Rita in Palma. Dass so der Grundstein zu ihrer Geschäftsidee und einem Herzensprojekt gelegt war, konnte sie damals wohl nicht ahnen… Noch heute finden sich diese Söckchen im Sortiment und auch der Name ist geblieben: „Für mich ist Rita in Palma ein Kunstbegriff, vielleicht ist das im Grunde mein Künstlername. Ich habe auch nach dem Studium als Stilistin unter diesem Namen gearbeitet. Ich verbinde damit Urlaub an der Riviera in den 50er Jahren und etwas Verheißungsvolles, Sehnsuchtsvolles…“, beschreibt Ann-Kathrin ihre persönliche Assoziationen.

Collection No. 4 © Carsten Kofalk

2010 wagte die Unternehmerin den Schritt in die Selbständigkeit, zusammen mit ihrer ehemaligen Partnerin, die seit der Geburt ihres Kindes 2012 ausgestiegen ist. Die passende Geschäftsidee kam beim Brainstorming und einer Flasche Rotkäppchen Sekt, als Ann-Kathrin die ‘Rita-Socke’ aus ihrer Inspirationskiste hervorsuchte und beide wussten: Das ist es! Handgemachte, exklusive Häkel-Accessoires, sind eine geniale Idee für Berlin! „Dann sind wir losgestiefelt und haben versucht, Frauen zu finden, die das können. Erstmal über Flugzettel auf Türkisch in Neukölln, Wedding und Kreuzberg. Aber da kam überhaupt nichts zurück. Dann haben wir türkische Kulturtreffs recherchiert und besucht. Und so ging das alles los.“ Einfach war das am Anfang nicht. Ann-Kathrin berichtet, dass es zunächst viel Überzeugungsarbeit gekostet hat und der erste Erfolg einer ganz besonderen Person zu verdanken ist: „Es gab einen Kieztreff in Kreuzberg, da bin ich echt drei Mal hin und immer wieder unverrichteter Dinge rausgegangen. Ich habe auch einen Türkischkurs gemacht, um besser mitzukommen. Aber das hat auch nichts gebracht. Eines Nachmittags habe ich dann meinen Sohn mitgenommen und das hat das Eis plötzlich gebrochen. Da haben sie gemerkt, ich bin eine von ihnen. Die erste Frau hat ein Teil mitgenommen und von da an wollten alle mitmachen.“

Collection No. 4 © Carsten Kofalk

Dantel, Igne Oyasi und Mekik heißen einige der Handarbeitstechniken, die in der türkischen Kultur seit Generationen weitergegeben werden und ein hohes Maß an Übung, Konzentration und Kunstfertigkeit erfordern. Gehäkelt wird traditionell z.B. für die Aussteuer der Töchter. Durch die Vision von Rita in Palma wird dieses Handwerk nicht nur bewahrt und wiederbelebt, sondern aus Folklore wird Avantgardemode und aus Tradition hochwertiges Design. „Das ist ja auch das spannende an dieser Symbiose, wo ich auch mal ins Spiel komme: Dass die Frauen sagen, dass sie noch nie so cooles Zeug gehäkelt haben und gar nicht auf die Ideen kommen würden so damit umzugehen.“, so Ann-Kathrin.

Modell ANA © Myriam Lutz

Dass der Zeitgeist für handgemachte Couture da ist, hat sich bereits vielfach gezeigt: ANA, das erste Model, welches für das Label entstand, schmückt mittlerweile so berühmte Hälse wie den von Chloë Sevigny. Christiane Arp, Chefredakteurin der Deutschen Vogue, hat persönlich den Showroom in Neukölln besucht und Ann-Kathrin und ihr Team während der Fashion Week 2012 zum Vogue Salon eingeladen. Noch im gleichen Jahr wurde Rita in Palma in der Oktober-Ausgabe mit einer ganzen Seite gefeatured! Alle namenhaften Mode- und Lifestyle-Magazine haben das junge Label längst auf dem Schirm. Genauso aber auch Zeitungen und Zeitschriften wie die DIE ZEIT, FAZ, das SZ Magazin, EMMA und Missy Magazin. Neben den Premium Young Designers Award gesellt sich der Sonderpreis des Startsocial-Awards für soziales Engagement, verliehen von Angela Merkel. Das hier Botschafter und Vertreter von Luxusmode, sozialem und feministischem Engagement sowie Politik ein gemeinsames Interesse finden, liegt daran, dass Ann-Kathrin nicht nur Designerin ist, sondern auch ein bisher einzigartiges Integrationsprojekt ins Leben gerufen hat. Im Fokus des Vereins Ritas Häkelclub e.V. steht die soziale und berufliche Förderung von Migrantinnen, die über ihre besonderen Fähigkeiten den Einstieg in die Berufstätigkeit finden und dabei Haute Couture mit Tradition innovativ verknüpfen. Es geht dabei um Integration auf Augenhöhe, das Empowerment jeder einzelnen Frau, ihre berufliche Weiterqualifikation, z.B. über gemeinsame Deutschkurse, und den interkulturellen Austausch. Mittlerweile sind es 33 türkische Frauen, die zu Ann-Kathrins Netzwerk gehören und freiberuflich für das Label häkeln.12 Häkelköniginnen kommen dafür regelmäßig in den Häkelsalon und drei Mitarbeiterinnen konnten bisher, auch Dank erster Förderung, in Teilzeit eingestellt werden –Tendenz steigend.

Saheste, Ann-Kathrin und Gülsüm bei der Arbeit © Gordon Welters

Auch ihre Inspiration als Designerin findet Ann-Kathrin immer wieder durch die Frauen und den gemeinsamen Lebensalltag. Die neuen Kreationen werden daher auch nach ihren Häklerinnen benannt – eine Hommage an die Frauen und ihr Können. Viele Ideen entstehen durch die Beschäftigung mit der Technik oder durch die Weiterentwicklung vorhandener Kragen: „Ich häkle nicht selber und kommuniziere meine Ideen auch nicht über eine Skizze, sondern über die Technik an sich. Es kann z.B. sein, dass mir eine Frau eine Handtuchborte zeigt, für die Aussteuer ihrer Tochter, und mich interessiert daran eine Form, Detail, das ich dann als Basis für einen Entwurf nehme. Das ist eigentlich ein ganz organischer Prozess. Ich habe das Material in der Hand und kriege eine Idee – z.B. wie ich verschiedene Techniken verbinden kann oder wie die Verwendung einer anderen Materialität ein neues Produkt entstehen lässt. Natürlich kommt es auch mal vor, dass eine Frau sagt: Das ist zu schwer, das geht nicht. Wir versuchen das dann einfach und werden wieder auf Neues gestoßen. Manchmal entsteht auch aus einem Fehler etwas Tolles,“, beschreibt Ann-Kathrin den Designprozess und fügt hinzu: „Und natürlich reizt mich Schönheit. Unsere Sachen sind ja auch im Vergleich zum Berliner Jungdesign sehr französisch und sehr feminin.

Bisher ist Rita in Palma, soweit ich weiß, das erste Label, dem eine solche Verbindung von sozialer Arbeit und Fashionwelt gelingt –Bereiche die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen mögen. Das Geheimnis und den Erfolg von Rita in Palma erklärt sich die Designerin so: „Das was wir hier gemeinsam erschaffen ist eben nicht ‘nur‘ made in Neukölln, das ist Couture, das ist eine Luxusmarke. Unsere Produkte und deren Anmutung, verleihen der Trägerin Attitüde, Glanz, oft auch eine andere Haltung. Man steht dann gleich so ein bisschen gerader im Leben wenn man so einen Kragen an hat.“

Industrielle Massenanfertigung, wie sie durchaus in der Luxusmodeindustrie vorherrscht, gibt es bei Rita in Palma nicht: Jeder Kragen ist ein Unikat, entstanden in stundenlanger, hochkonzentrierter Handarbeit.

Der ZAIDE-Kragen © Fabian Frost

Es dauert beispielsweise 11-12 Stunden bis mein weißer ZAIDE-Kragen fertig ist. Es ist sozusagen eine ‘Slow-Fashion-Bewegung’, bei dem jedes Teil eine eigene Geschichte und einen besonderen individuellen Wert bekommt. Zum Prinzip der entschleunigten und bewussten Mode passt auch, dass sich Ann-Kathrin dem Fashionzyklus nicht mehr anpasst und lieber nachhaltig entwirft: „Viele Kragen werden bei uns einfach im Sortiment bleiben – das sind Klassiker. Wir stehen für ein einzigartiges Produkt und das muss nicht jede Saison von Grund auf neu erfunden werden. Es geht eher darum immer besser zu werden. Auch auf Kundenwünsche gehen wir individuell ein. Natürlich kommen neue Produkte dazu, wie jetzt eine Lingerie- oder Handtaschen-Kollektion, und eventuell gibt es irgendwann auch Seidenblusen mit Elementen verziert. Aber ich werde nie so eine trendy Modekollektion entwerfen.

Neben dem eigenen Online-Shop und in ihrem Neuköllner Showroom ist Rita in Palma bisher in ausgewählten Geschäften in Tokio, Peking, Zürich und in Deutschland u.a. bei Lodenfrey und Yousefy in München, Salon (Hamburg), Clara Kaesdorf (Berlin) und ab Anfang November exklusiv mit einer Lingerie-Kollektion im KaDeWE erhältlich. Online findet ihr das Label in Shops wie Nelou, Boticca und Not just a label. Als nächste größere Kooperation steht eine Zusammenarbeit mit Roeckl an und auch Wolfgang Joop hat schon Interesse bekundet. Eine Entwicklung, die sehr positiv verläuft. Doch Ann-Kathrin fügt auch hinzu: „Mit einem Label musst Du erstmal 5,6,7 Jahre am Markt durchhalten bis du es geschafft hast. Und bis du da durch bist, frisst das auch erstmal viel Geld.

Der nächste Schritt wird sein, den Vertrieb weiter auszubauen und verstärkt auf dem internationalen Markt Fuß zu fassen. Ann-Kathrin hat eine klare Vision: „Ich möchte mit unserem Produkt in den KaDeWes der Welt vertreten sein, weil es da einfach hin gehört. Ich glaube, dass wir das schaffen können und, dass wir auf einem guten Weg sind, das Produkt an den richtigen Orten zu präsentieren –hochexklusive Geschäfte, wo ein Kunde auch Zeit hat sich auf so ein Produktdesign einzulassen. Wir sind aber auch breit gefächert: Mit den Bonbon-Ketten, der etwas günstigeren Schmuckkollektion und den Schleifen und Smokingfliegen kann man natürlich mehr Publikum erreichen und größere Mengen verkaufen. Der Rest ist ja schon extravagant und braucht Liebhaber.“

Berlin bleibt dabei natürlich ein entscheidender Standort: „Ich liebe Berlin für mich und mein Leben. Ich bin total glücklich hier und mein Kind auch. Und mit dieser Geschäftsidee ist es klar, dass es eine starke Bindung gibt und es entscheidend ist hier in Neukölln einen Raum zu haben. Ich hoffe das wird mal nachgeahmt – nicht das Produkt, aber die Geschäftsidee. Das kann man ja auch auf andere Länder und andere Handarbeitstechniken umdenken.“

Für mich sind die Kragen eine wunderbare Form der Inszenierung von Weiblichkeit. Ein sinnliches Spiel mit verschiedenen Frauenrollen: von damenhaft, über cool, glamourös, theatral, extravagant, verspielt bis hin zu subtil erotisch. Die Exklusivität und Hochwertigkeit hat natürlich auch einen Preis: es sind Liebhaberstücke, etwas Besonderes – für das man sich zugegeben nicht mal eben entscheidet – und kleine Kunstwerke. Kunstwerke allerdings, die sich problemlos in den Alltag integrieren und auf unterschiedlichste Weise stylen lassen. Mittlerweile gehören die Kragen fest zu meinem Repertoire und ich fühle mich damit immer ein bisschen besonderer angezogen, egal ob abends mit Kleid oder casual in Kombination mit einem einfachen T-Shirt. Obwohl ich direkt dreifach zugeschlagen habe, gibt es noch so viele Modelle, die ich toll finde (z.B. Zaide Cicek) und daher werde ich sparen, um mir noch mal so ein Schmuckstück zu gönnen. Denn die Kragen werden nicht nur nachhaltig hergestellt, sie bleiben meiner Meinung nach auch zeitlos. Ich bin mir sicher, dass ich damit noch als ‘ältere Dame‘ meine Outfits aufwerten werde. Ein kleiner Tipp: Zwei Mal im Jahr gibt es bei Rita in Palma einen Sale – das nächste Mal sollte es rund um die Weihnachtszeit wieder so weit sein! Falls ihr erstmal ‘Probetragen’ wollt, gibt es einige Modelle auch leihweise bei Prêt-à-Louer.

Zum Schluss noch ein bisschen Styling-Inspiration:

Fotos: Fabian Frost (auch Beitragsbild), Gordon Welters, Carsten Kofalk, Myriam Lutz und Instagram Rita in Palma

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