zu #selbstgeboren

Oh dear.

Lese im Zusammenhang mit diesem Artikel das erste Mal vom Hashtag #selbstgeboren. Ein Artikel, der mich traf, weil ich die beschriebenen Gefühle zum Kind teil(t)e, auch ohne Kaiserschnitt. Ich sehe in meiner Timeline Kritik am Hashtag, muss aber ein bisschen suchen, bis ich verstehe, an wen sich die Kritik richtet. Allein der Begriff macht Stirnrunzeln. Wer soll denn gebären außer die schwangere Person selbst? Ist ja nicht so, als könne man, wenn man übers erste Trimenon hinaus schwanger ist, die Geburt outsourcen.

Ana Luz erklärt:

Wenn heute auf der Seite selbstgeboren.de Geburtsberichte von Frauen gesucht werden, die eine “kraftvolle und selbstbestimmte Geburt erlebt haben” und “aus eigener Kraft” ein Kind geboren haben, während im nächsten Satz alle Mütter ausgeschlossen werden deren Geburtserlebnisse nicht ”frei von Manipulation oder Eingriffen von Außen. (D.h: Ohne künstlich eingeleitete Wehen, PDA, Kristellern, Dammschnitt, Saugglocke oder Kaiserschnitt.)” sind, dann passiert genau das (...): Geburt wird bewertet und klassifiziert in “richtig” und “falsch”, in “natürlich” und “künstlich”, in “kraftvoll” und “manipuliert”. (...) Was sind denn die Mütter und ihre Geburtserlebnisse, deren Geburtsberichte hier ausdrücklich NICHT gesucht werden nach der Definition der Autorin? Kraftlos, schwach, manipuliert, falsch, künstlich. Dabei werden die Kraftanstrengungen dieser Mütter, die Schmerzen, die Ängste und die Entscheidungen in ihrer Verantwortung als Mutter ihrer Kinder komplett negiert.

Ich bin voll Team Selbstbestimmung, aber ich wünsche mir (besonders von einer Hebamme), dass die Komplexität von Selbstbestimmung verstanden wird. Und Respekt vor Geburtssituationen, deren Bedingungen Schwangere sich nicht selbst aussuchen können. Ich will, dass sie mitgedacht werden.
Selbstbestimmt ist nicht gleichbedeutend oder deckungsgleich mit “ein physiologischer Geburtsverlauf, frei von Manipulation oder Eingriffen von Außen. (D.h: Ohne künstlich eingeleitete Wehen, PDA, Kristellern, Dammschnitt, Saugglocke oder Kaiserschnitt”, wie die Autorin in ihrem Aufruf nach Geburtsgeschichten schreibt.

Denke ich an meine Geburten, sind es nicht per se medizinische Interventionen, die mir das Gefühl erschwert haben könnten, selbstbestimmt zu gebären. Die Wahl, PDA und andere Schmerzmittel in Anspruch zu nehmen, war immer selbstbestimmt, und ich bin dankbar, dass niemand, weder Ärzt_innen noch Hebammen, mir vermittelt hätten, dass eine Geburt halt kein Besuch im Vergnügungspark sei, ich mich nicht so anstellen solle, sondern dass ich in der Angelegenheit sofort ernstgenommen wurde. Was meine Selbstbestimmung bei der ersten Geburt eingeschränkt hat, war ständig am Wehenschreiber zu hängen oder nervig-schmerzhaftes Muttermundtasten.

Die erste Geburt wurde eingeleitet. Da war ich zwei Wochen über dem errechneten Termin. Was sich damit erklären lässt, dass mein Fötus keine Signale sendete, reif zu sein, Signale dass die Geburt losgehen könne, weil das Gehirn, mit dem diese Signale gesendet würden, fehlte. Anenzephalie, in case you’re wondering. Der Zeitpunkt war nicht selbstbestimmt, aber wie selbstbestimmt kann er bei spontan einsetzenden Wehen sein? Und macht das denn weiteren Geburtsverlauf oder das gesamte Geburtserlebnis zwingend nicht selbstbestimmt? Die Frage nach Selbstbestimmung ist keine Frage von entweder-oder, sie bewegt sich in einem Spektrum.

Die zweite Geburt verlief ohne Manipulationen oder Eingriffe von außen, ohne Schichtwchsel, usw. Trotzdem habe ich sie im Nachhinein als weniger selbstbestimmt in Erinnerung, ist sie ein Schlüssel dazu, warum es zwischen mir und dem Baby nicht sofort funkte.

Denn: Die Frage nach Selbstbestimmung endet nicht, wenn Baby und Plazenta draußen sind. Die schlimmsten (und noch immer schlimmwirkenden Erfahrungen) habe ich nach der Geburt gemacht, als es darum ging, genäht zu werden. Nicht nach einem Dammschnitt sondern simplen Scheidenrissen. Situationen, in denen mir keine Zeit gegeben wurde, nicht respektiert wurde, als ich “Nein” schrie, ich stattdessen vermittelt bekam, ich würde mit meinem Versuch, in einer wunden Situation über mich selbst zu verfügen, nerven und den Betrieb aufhalten.

Hebammen sind arschwichtig. Zu wichtig, als dass Geburtserfahrungen gegeneinander ausgespielt werden sollten, um den Berufsstand zu retten. Hebammen sind nicht nur für interventionslose Geburtshaus- oder Hausgeburten wichtig. Hebammen betreuen Kaiserschnitte. Hebammen betreuen Fehl- und Totgeburten, betreuen Abtreibungen. Und mir ist jeder selbstgewählte und selbstbestimmte Kaiserschnitt lieber, als spontane Geburten, die mit Ohnmachtserfahrungen verknüpft sind.

Die Kraft, die eine Geburt erfordert, ist nicht zwingend die Kraft, die es braucht, um ein Baby durch den Geburtskanal zu pressen. Da ist die Kraft, die Schwangerschaft zu tragen, die Kraft gegebenenfalls Diagnosen auszuhalten, die Kraft Entscheidungen für sich zu treffen, die Kraft, sich selbst in und durch die Zeit danach zu tragen. Ich kann das Anliegen des Buches erkennen, mit positiven Geschichten Mut machen zu wollen. Aber Titel und Aufruf sind so unfassbar unreflektiert, ignorant und respektlos. Und damit auch unprofessionell. Statt Mut zu machen, stößt das Framing vor den Kopf und verletzt.

Ich wünsche mir stattdessen ein Buch, mit dem kein Gegensatz zwischen assistierten und selbstbestimmten Geburten konstruiert wird, sondern das mit vielfältigen Geschichten der Realität von Geburten gerecht wird, das zeigt, wie Selbstbestimmung unter unterschiedlichen Voraussetzungen und Geburtssituationen möglich wird, und darin nicht beschränkt auf sogenannte “natürliche”/”normale” Geburten. Ich wünsche mir, dass die Bedürfnisse von Schwangeren ernstgenommen werden, statt Druck zu machen, wie Geburt “richtig” gehe. Und ich wünsche mir, dass die Kritik verstanden wird. So gut das gemeint sein mag: intent isn’t magic.



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