Leila Yuliyah

Leben wir in verschiedenen Welten?

Normalerweise beschwöre ich ja keine Generationenkonflikte und linke auch nicht auf die Artikel sogenannter “Qualitätsmedien”. Bei beidem muss ich heut mal eine Ausnahme machen. Ich geriet nämlich kürzlich an einen ZEIT-Artikel von Anita Blasberg mit dem Titel “Die schon wieder!”, der mich in Gedanken schon eine ganze Weile beschäftigt.

Die Autorin zeichnet darin ein Portrait von unserer gealterten Gesellschaft und auch wenn einige Argumente etwas überspitzt sind, treffen sie doch einen wesentlichen Punkt. Ich zitiere – und setze mich damit einer unsicheren Rechtslage aus, für die übrigens eben jene hier kritisierten Generation verantwortlich ist:

Die Babyboomer sind und waren immer: die Mehrheit. Sie sind es gewohnt, dass das, was sie beschäftigt, auch die ganze Gesellschaft beschäftigt. Jetzt, in ihren besten Jahren, sitzen sie an den Schaltstellen des Landes: Die Kanzlerin ist eine Babyboomerin, genau wie die meisten deutschen Ministerpräsidenten. Die Gruppe der über 48-Jährigen stellt die große Mehrheit der Konzernvorstände sowie die einflussreichsten Publizisten.

Die Babyboomer kaufen 80 Prozent aller deutschen Neuwagen. Sie sorgen für die Hälfte des Jahresumsatzes in der Tourismusbranche, sogar Banken entwerfen ihre Bausparpläne inzwischen für die über 48-Jährigen. In allen wichtigen Märkten sind sie die wichtigsten Konsumenten. Nach Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gehen sie jedes Jahr für rund 500 Milliarden Euro einkaufen. Sie verfügen über die Hälfte der gesamten deutschen Kaufkraft.
(Zum Artikel: Die schon wieder!)

Auch wenn wir vermutlich nicht alle Probleme auf einen Generationskonflikt reduzieren können oder sollten, finde ich, dass die Ausführungen Blasbergs doch einige Dinge in ein anderes Licht setzen. Dass eine einzige Generation so viel Macht hat, erklärt echt einiges, was in diesem Land schief läuft.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen:

  • Es erklärt die hanebüchene Gesetzgebung, die nur als Abschied vom Technologiestandort Deutschland und eigentlich als Abschied von der Zukunft selbst verstanden werden kann.
  • Es erklärt das schlechte Fernsehprogramm, die schlecht verteilten Kultur- und Wissenschaftsgelder, die Probleme mit GEMA, GEZ, Urheberrecht, Leistungsschutzrecht usw. usf.
  • Es erklärt, warum die CDU noch nicht ausgestorben ist und es erklärt, warum Dinosaurierer, wie Parteien oder Gewerkschaften als solche noch nicht ausgestorben sind.
  • Es erklärt, warum wir kein freies WLAN in Bussen oder in der Innenstadt haben und warum der größte deutsche Telefonanbieter den Rückzug ins Modemzeitalter ausgerufen hat.
  • Es erklärt die Familienfeindlichkeit unserer Gesellschaft und den hohen Anteil an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in prekären Verhältnissen leben.
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Satire-Werbung von Hellebardius (CC BY NC SA)

Was bleibt sind Fragen danach, was wir mit diesem Wissen anfangen können. Alt und Jung leben offensichtlich schon heute zu großen Teilen in zwei verschiedenen Welten. Die einen leben in Wohlstand und Sicherheit, die anderen in prekären Beschäftigungsverhältnissen (wenn überhaupt). Ich wage es noch einmal Blasberg zu zitieren:

Zum ersten Mal in der Geschichte ist die junge Generation zahlenmäßig kleiner als die alte. Es gibt keinen Druck von unten, die alten Paradigmen durch neue zu ersetzen. Es ist seltsam: Obwohl die Welt sich in rasendem Tempo ändert, steht das Land still. Die Menschen blicken lieber nach hinten als nach vorn.

Die Gegenwart wird schmaler, die Vergangenheit breiter, die Zukunft ist längst nicht mehr zu sehen. Auch die Kanzlerin kauft immer nur Zeit. Noch ein Rettungspaket, noch ein paar Milliarden. Damit das System noch eine Weile überlebt.
(Zum Artikel: Die schon wieder!)

Was aber können wir tun? Was haben diejenigen, die an der Gestaltung der Zukunft interessiert sind, der zahlenmäßig und finanziell überlegenen Generation der Bewahrer entgegen zu setzen? Wie können wir diesen Irrsinn stoppen? Und: Was bleibt uns zu tun übrig, wenn die Alten den Karren endgültig gegen die Wand gefahren haben?


© Orange Apelsina auf Erdbeerfleisch, 2013. | Diaspora | Facebook | Twitter

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