Yoyó Kim

[Stories] Anrufbeantworter




Letzte Woche hatte ich irgendwie viel zu tun, aber nachdem ich gestern meine zweite TOPIK Prüfung (eher schlecht als recht, aber was soll's) beendet habe, hoffe ich doch, wieder etwas mehr Zeit fürs Bloggen zu finden. Nebenbei habe ich wieder ein wenig geschrieben, jedoch habe ich noch nicht wirklich darüber geschaut. Also, lasst mich wissen, wie ihr es findet, freue mich über jegliche Kritik!
EDIT: Ich habe jetzt mal kurz rübergeschaut und ein paar Grammatik-, Satzzeichen- (ich liebe Kommata offensichtlich viel zu sehr :D) und Tempusfehler korrigiert. Wenn ihr weitere findet, schreibt es mir doch in die Kommentare. :)

Anrufbeantworter
« Sechs Monate. Matt nahm noch einen weiteren Schluck aus der Flasche. Oder waren es doch bereits sieben? Der stechende Schmerz an seinen Schläfen ließ ihn kurzzeitig schwindeln und nachdem er wieder klar sehen konnte, war sein Shirt durch den halben Inhalt seiner Bierflasche durchnässt. Stöhnend warf er die halbleere Flasche in der Ecke, die klirrend gegen die anderen leeren krachte. Diese Migräne brachte ihn noch um. Schön wär‘s., dachte er und schloss die Augen.
Das schrille Klingeln des Telefons riss ihn aus dem Schlaf. Er brummte. Er hatte wieder einen dieser Träume gehabt, die so bunt und hell und unscharf waren, dass er sich kaum daran erinnern konnte. Bevor er die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenfügen konnte, endete nach dem siebten Mal endlich das Läuten und der Anrufbeantworter sprang an. Eine weibliche Stimme sagte in einem gekünstelten, aber lachenden offiziellen Ton: „Hi, das ist der Anrufbeantworter von Meg und Matt. Wir sind grad leider nicht Zuhause, also hinterlass uns doch eine Nachricht nach dem Piepton. Over and out! ... War das gut so-?“ Piep. „Matt, ich weiß, dass du Zuhause bist, also geh endlich ran. Mom ist halb verrückt vor Sorge und isst und schläft kaum noch. Selbst dein bester Freund alias Idiot Eric hat sich wegen dir bei mir gemeldet, weil er dich seitdem Meg t- ... Ich meine, dass er dich seit du-weißt-schon-was nicht mehr richtig erreicht geschweige denn gesehen hat. Hörst du? Eric hat sich bei mir gemeldet! Gottverdammt, ich weiß doch, dass es dir scheiße geht und ich sag ja auch nicht, dass es besser wird oder so einen Kack ... Aber wir machen uns Sorgen, Matt. Bitte komm am Wochenende nach Hause, gewaschen, rasiert und in sauberen Klamotten. Ich kann Mom nicht mehr so leiden sehen und dich auch nicht. Komm nach Hause, du bist nicht allein, großer Bruder. Wir alle vermissen sie. Und dich.“ Mit einem Klick endete die Aufnahme.
Für eine Weile blieb er reglos auf dem Sofa liegen. Warum hatte er das dämliche Ding von Anrufbeantworter nicht wie den Rest der Wohnung einfach auseinander genommen? Seit sechs oder sieben (er wusste tatsächlich nicht mehr, wie lang es her war) riefen gefühlt vierundsiebzig verschiedene Leute an, um entweder ihr Beileid zu bekunden, sich aus gegebenen Anlass mal wieder zu melden oder sich zu beschweren, warum diese und jene Rechnung noch nicht gezahlt wurde. Matt hatte seitdem keinen einzigen Anruf abgenommen und sie ruhten alle zusammen auf der Speicherkarte des viel zu teuren Ding, was er und seine Frau sich damals angeschafft hatten. Megan hatte unbedingt diesen Anrufbeantworter gewollt, weil es „farblich so gut zum Fernseher“ gepasst hatte. Matt beharrte von Anfang an darauf, dass sie keinen Anrufbeantworter bräuchten, doch gegen Megs Sturheit kam man nicht an. Besonders nicht er.
Er riss sich aus den Gedanken, als er merkte, dass seine Wangen wieder klatschnass waren. Mit zitternden Händen zog er die alte Wolldecke enger um sich und drehte sich auf die Seite.
Als er das nächste Mal aufwachte, war es stockdunkel in der Wohnung. Matt rieb sich die Augen. Wie viele Stunden waren vergangen? Er verlor vollkommen das Zeitgefühl. Träge kam er auf die Beine, stieß gegen ein paar Flaschen und Bierkästen, fluchte, stolperte, stand wieder auf. Wie ein Blinder tastete er sich langsam vorwärts ins Bad, suchte eine halbe Ewigkeit den Lichtschalter bis er endlich das Licht anschaltete. Das viel zu grelle Gelb knallte wie ein viel zu heller Scheinwerfer auf ihn herab. Für einen Moment sah er Sterne vor seinen Augen bis er sich an das Licht gewöhnte. Matt hielt inne. Seine Haut wirkte grau und schien an seinen spitz hervortretenden Knochen zu hängen, die Haare klebten platt auf seinem Kopf und sein ehemalig so gepflegter Drei-Tage-Bart wich einem krausem Ungeheuer. Es war schon eine Weile her, dass er sich zuletzt im Spiegel betrachtet hatte. Alt, schoss ihm durch den Kopf, ich seh alt aus.
Nachdem er sich, durch seinen verschwenderischen Bierkonsum begünstigt, erleichtert hatte, schlurfte Matt sich zurück in den Flur. Dick und faserig blieb der Staub zwischen seinen Zehen hängen, die Luft roch verbraucht nach kaltem Tabak und süßlich gärendem Alkohol. Matt schnaufte. Meg hätte ihn dafür umgebracht, wenn er damals in der Wohnung geraucht hätte. Nein, damals hatte er überhaupt keine Zigaretten angerührt. Erst nachdem sie gegangen war ...
Kraftlos fiel er zurück auf das muffige Sofa. Durch die Straßenlaternen draußen beleuchtet beobachtete er wie die kleinen, weißen Partikel in der Luft tänzelten. Sie drehten sich, erhoben sich, um gleich wieder sacht zu fallen. Es war irgendwie beruhigend, dieses Nichtstun. Schon fast friedlich. Als würde die Zeit stehen bleiben. Als würde sie beim Verstreichen tatsächlich heilen ...
Das schrille Läuten holte ihn ruckartig aus seiner Trance zurück. Mit einem lauten Brüll ergriff er das nächstbeste, was er in die Finger bekam und warf es in die Richtung des Telefons, riss dabei nicht nur dieses, sondern alle anderen Gegenstände vom kleinen Beistelltisch herunter. Es klirrte, etwas ging zu Bruch, doch das nervtötende Klingeln verebbte endlich. Bevor Matt wieder die Augen schließen konnte, erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Es war ein leises Rasseln; wenn er sich nicht täuschte klang es wie das Zurückspulen einer alten Kassette, die er noch aus Kindertagen kannte. Nach einer gefühlten Ewigkeit stoppte das Geräusch, es klickte, piepte kurz. Als Matt die anschließende heisere, leise Stimme hörte, stockte ihm der Atem: „... Ist das Ding an? Hallo? Hallo? Nimmt es, *chrm chrm*, nimmt es auf? Oh, das rote Lämpchen blinkt, dann funktioniert es also doch, also ... Hallo Matt.“ Matt blieb regungslos auf der Couch liegen.
„Hm, jetzt finde ich es doch irgendwie merkwürdig, hierauf zu sprechen.“ Ein Räuspern. „Nun, ich weiß, wie sehr du dich gegen den Kauf dieses Dings geweigert hast, im Nachhinein war es ja doch viel zu teuer, oder? Mh, also ... wo fang ich an? Erinnerst du dich an Cornwall? An diesen einen Tag am Meer, wo mein Hut weggeflogen ist und ich so aufgebracht war? Du bist den ganzen Strand entlang gerannt, um ihn mir wieder zu besorgen. Na ja, als du wirklich in die Wellen rennen wolltest, hab ich dich zum Glück noch aufhalten können. Weißt du, das ist eines der schönsten Erinnerungen, die ich von uns hab.“ Es folgte ein langes, tiefes und kehliges Husten. „Nun, was ich damit sagen will ... ich liebe dich. Ich schätze jeden unserer Momente, die wir zusammen verbracht haben, egal ob gut oder schlecht. Ich denke gern an unseren quirligen Alltag, deine Macken, meine hysterischen Anfälle bei meiner Kleiderauswahl, die du noch nie verstehen konntest ... Aber dieser Unfall vor ein paar Wochen ... Ich habe wirklich lang nachgedacht. Diesen betrunkenen Fahrer auf verschiedenste Weise tausend Mal in meinem Kopf sterben lassen, uns zusammen in einem kleinen, hübschen Reihenhaus vorgestellt. Mit Kindern. Ein Junge und ein Mädchen, so wie ich es immer wollte. Weißt du, ich habe mir nicht viel für mein Leben gewünscht. Nur ein durchschnittliches Leben, in dem ich als Mittvierzigerin mit meinen Nachbarinnen über diesen und jenen Tratsch plaudere, dir das Abendessen zubereite und wir am Wochenende was zusammen als Familie unternehmen. Es sind doch die kleinen Dinge, die einen glücklich machen ... Doch wer hätte gedacht, dass so ein plötzlicher Vorfall alles verändern kann?“ Megs Stimme blieb für viele Minuten ruhig, sodass Matt leicht Panik in ihm hinaufkriechen spürte. Er glaubte, ein beherrschtes Zittern im Weiteren herauszuhören: „Ich hab deinen Wutanfall im Krankenhaus mitbekommen. Ich war auch geschockt, als sie mich aus dem Koma geweckt haben. Die Hälfte aller Rippen gebrochen, der rechte Lungenflügel vollständig gerissen, andere Organe-... Egal was sie sagten, ich wusste nicht, wovon sie sprachen. Erst als der Oberarzt meinte, ich müsste mich entscheiden-“ Sie seufzte und Matt hörte sie leise weinen. Seine Kehle schien sich langsam zuzuschnüren und sein Mund wurde ganz trocken. Er brachte keinen Ton heraus; er wagte es nicht einmal zu atmen.
Nachdem Meg sich wieder gefangen hatte, fuhr sie unbeirrt fort: „Ich habe alles und jeden verflucht. Warum ich? Warum jetzt? Warum? Warum?! Es ist so unfair. Aber weißt du, was mir noch fiel schwerer fiel? Dir zur Last fallen zu können. Ich will nicht an Maschinen hängen und dich leiden sehen, während ich vor mich hinvegetiere. Du verdienst so viel Besseres als das.“
Matt setzte sich auf und starrte auf den rot blinkenden Anrufbeantworter. „Ich weiß nicht, wann genau du das hier abhörst. Es wird bestimmt hart werden, aber vernachlässige deine Familie und Freunde nicht. Auch wenn es nur grau und trüb scheint, man sagt doch nicht umsonst, dass es am Ende des Tunnels Licht gibt. Und dieses Licht wirst du finden. Vielleicht nicht nächste Woche oder nächsten Monat ... Aber es gibt genug Menschen, die dir zu Seite stehen, Matt. Weis deren Hilfe nicht ab. Damit tust du niemanden einen Gefallen, am wenigsten dir.“
Matt stand vor dem silbernen Anrufbeantworter, aus dem die Stimme seiner Frau ertönte. Scherben von braunem Glas gruben sich in seine Fußflächen, doch er konnte den Blick nicht abwenden. Er hob den Anrufbeantworter an und hörte den letzten Sätzen aufmerksam zu: „Ich sag nicht, dass du mich vergessen sollst. Es gibt nur eins, was ich will: von oben herabschauen und die Gewissheit haben, dass du lebst. Und es genießt. Bis in die Fingerspitzen. Ich möchte das Lachen hören, in das ich mich so verliebt habe. Also tritt hinaus und tu es. Nicht für mich. Nicht für andere. Für dich.“ Sie seufzte einen Moment und endete mit einem einfachen Schlusswort: „Ich weiß dass du es schaffst. Ich liebe dich.“
Mit einem langen Piepen endete die Aufnahme. Matt starrte auf den Bildschirm. 26.04. Ein Tag bevor Meg ihn verlassen hatte. Nach einer ganzen Weile legte er sich zurück aufs Sofa und schloss die Augen.
Er wurde am späten Vormittag wach. Mit glasigen Augen starrte er an die vergilbte Decke. Draußen regte sich bereits der Verkehr und die Vögel zwitscherten. Die Zwillinge der Millers rannten ein Stockwerk über ihm herum und jauchzten dabei. Er fragte sich, wann sie so groß geworden waren. Das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, konnten sie noch nicht einmal laufen. Matt seufzte, stand auf und bewegte sich ins Bad. Er sah in den Spiegel und holte seinen viel zu lange unbenutzten Rasierer aus dem Schrank über dem Waschbecken. Er fühlte sich in seiner Hand ungewohnt gut an. Matt atmete tief durch. Es wurde Zeit aufzuwachen. «
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