Milena

Kolumne: Alles eine Frage der Haltung

“Illusions of the Body” ist ein Fotoprojekt der Künstlerin Gracie Hagen, das diese Woche im Internet kursierte. Frauen jeglicher Körperform wurden darin je zweimal nackt fotografiert – einmal in vorteilhafter, gestreckter Haltung, den Bauch eingezogen, das Kinn Richtung Himmel, die Oberschenkel überkreuzt, den Arm hinter den Kopf geworfen. Und dann einmal ohne diese Tricks: bucklig, mit herausgestrecktem Bauch, hängenden Brüsten, breitbeinig, mit heruntergezogenen Mundwinkeln und Doppelkinn. Es handelt sich immer um dieselbe Frau im selben Setting, bei gleicher Beleuchtung und durchweg nackt, doch unterschiedlicher könnten die beiden Darstellungen nicht wirken.

Gracie Hagen zeigt in dieser kurzen Strecke, wie wir uns alle kollektiv verarschen. Wir alle präsentieren uns reihenweise auf Facebook, Instagram oder unseren Blogs. Bis es ein Selfie schafft, hochgeladen zu werden, werden mindestens 10 geknipst, bei Outfitfotos sind es noch viel mehr. Wir zeigen immer unsere Schmankerlseite, jedes unvorteilhafte Foto wird gelöscht und gar nicht erst hochgeladen. Und wenn es dann doch passiert und man mit Schielblick und Doppelkinn auf einem Partyfoto getaggt wird, dann will man im Erdboden versinken.

Die Selbstdarstellung wurde nie krasser praktiziert als heute und von überall her kriegen wir die geballte Ladung an Schönheit serviert. Jeder sieht auf seinen Profilfotos fabulous aus, die Blogger auf ihren Outfitfotos sowieso und die Models in den Kampagnen ja eh schon immer. Durch die kollektive Online-Selbstdarstellung wächst der Druck, immer nur die vorteilhafteste Seite von sich zu präsentieren, mitzuhalten mit den anderen, die einen von ihren Anzeigebildern aus anstrahlen. Dass Schönheit auf Fotos aber immer eine Frage der Körperhaltung, des Lichteinfalls, des Bildausschnitts oder des Makeups sind, wird einem immer unbewusster, je normaler die Online-Selbstdarstellung wird.

Dass man sich mit Baucheinziehen, Strecken, Drehen oder Hände hinter den Kopf legen locker zehn Kilo leichter wirken lassen kann, wissen wir schon aus Dauerwerbesendungen, die einem Schlankmacherhosen oder Diätpillen verkaufen wollen. Die Vorher-Nachher-Fotos enttarnt jeder denkende Mensch als Werbestrategie und kann darüber lächeln. Wenn das Ganze aber nicht dazu praktiziert wird, etwas zu verkaufen, sondern das eigene Ego zu pushen und das Schönheitsideal im vermeintlich normalen Umfeld zu beeinflussen, wird die Sache schwierig. Auch in der Bloggerwelt sind die unwirklichen vorher-nachher-Fotos schon angekommen, und selbst Outfitfotos werden perfektioniert, aussortiert und bearbeitet.

Auch wir machen Outfitfotos, versuchen uns dabei zwar so normal wie möglich zu inszenieren, werden aber sofort selbstkritisch und sortieren alles Unvorteilhafte aus. Und wenn man einen schlechten Fototag hat, sinkt schonmal die Laune, wenn man sich einfach auf keinem Foto gefallen mag. Und dann kommt Gracie Hagen mit ihrer Fotostrecke und schreit uns ins Gesicht: Seid so wie ihr seid! Mögt euch! Jeder kann auf Fotos super aussehen, es geht doch um so viel mehr!

Ihre Fotostrecke ist wie ein Anker in diesem Wirbel der Schönheitsillusionen, der uns mal wieder auf den Boden holt. Der uns in Erinnerung ruft, dass die Fotos der Superstarbloggerin oder der schönen Bekannten auf Facebook nur Bilder sind und nicht den Menschen in allen Facetten darstellen. Und vor allem, dass Schönheit nicht Perfektion und Inszenierung bedeutet. Und wir ohne schlechten Gewissens ungeschminkt und bucklig am Frühstückstisch sitzen dürfen und dabei nicht weniger fabulous sind.

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