Milena

Ein Jahr später.

Heute ist der 23. April 2014. Ich trage eine Jeans von Topshop, ein Tshirt von COS und eine Lederjacke von Muubaa. Meine Schuhe sind von Converse, die Sonne scheint und ich sitze wohlbehütet in der Redaktion. Zehntausende Kilometer weiter, in Asien, in Bangladesch sitzt wieder einmal eine der tausenden Näherinnen und Näher an ihrer Maschine, näht die Tshirts, Hosen und Mäntel, die ich, wir alle, tragen. Spätabends geht sie heim und erinnert sich, dass es jetzt der 365. Tag war, den sie überlebt hat. Sie atmet auf.

1135 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – sind am 24. April 2013 in Bangladesch gestorben. Erst brannte es in der Textilfabrik, dann stürzte sie ein. Begrub Träume, Hoffnungen, Leben unter sich. Das Entsetzen danach war groß: Bei den Fabrikanten, den Modeunternehmen, bei uns Bloggern. Viele gelobten Besserung, Reflexion und Unterstützung. Doch was ist geblieben, ein Jahr nach der Katastrophe?

Laut Frankfurter Rundschau (FR) waren die Textilfabriken die ersten, die Besserung versprachen. Das weltweite Entsetzen, das die Katastrophe auslöste, wollten sie sich nicht zugestehen. Schließlich brachte die eingestürzte Fabrik allein 1,5 Millionen US-Dollar Umsatz im Jahr. Die Arbeiter, die, die täglich schufteten, sahen davon nur einen Mini-Mini-Bruchteil. Die Regierung, die sich jahrelang den profitorientierten Unternehmen unterordnete, hob laut FR erstmals den Mindestlohn “77 Prozent auf immer noch dürftige 68 US-Dollar monatlich an und erlaubte die Bildung von Gewerkschaften”.

Die großen Highstreet-Ketten forderten sofort bessere Produktionsbedingungen, Zara & H&M setzten sich erstmals an einen runden Tisch und brainstormten für bessere Arbeitsbedingungen, bessere Entlohnung, menschlichere Bedingungen. Keiner wollte Blut an seiner Kleidung. Mit “Accord for Bangladesh” haben sich 150 Modeunternehmen aus Europa zusammengeschlossen. Sie wollen bis September 1500 Textilfabriken überprüfen. Ein guter Wille. Doch ob das langfristig hilft?

Glaubt man dem Bericht der Frankfurter Rundschau ist die Situation vor Ort immer noch katastrophal. Der Profit steht im Vordergrund. Wer nicht spurt, muss gehen. Wer auf seine Rechte plädiert, sitzt schneller auf der Straße, als er denken kann. Mit einer hungernden Familie im Rücken. Die Brandschutzverordnungen sind vielerorts noch grenzwertig. “Als kürzlich die Feuerschutzvorschriften in vier Textilfabriken bemängelt wurden, bemühten sich die Besitzer keineswegs um Verbesserungen. Sie schlossen lieber die Tore und setzten 5000 Arbeiter auf die Straße”, so im Artikel. Die Unternehmen vor Ort klagen über Verluste. Bevor sie die Fabriken Instand setzen, schließen sie lieber gleich. Doch Arbeitslosigkeit ist für die vielen Näherinnen und Näher keine Alternative. Die Folge: Sie flüchten in die nächste unsichere Fabrik.

Fakt ist: Von einem Tshirt, das für 29 Euro bei uns verkauft wird, gehen 18 Cent an die Näherin. Zu wenig, viel zu wenig. Die Unternehmen müssten lauter werden. Wir als Konsumenten müssen lauter werden. Die Macht, die wir haben, ausspielen. Für unsere Mitmenschen. Es ist nichts Neues, doch es gerät immer wieder in Vergessenheit.

Ich habe in dem vergangenen Jahr mehrmals an die Textilfabrik in Bangladesch gedacht. Die Bilder mir ins Gedächtnis gerufen. Mein Konsumverhalten hat sich innerhalb dieses Jahres verändert. Lief ich früher blindlings durch Zara & Co., überlege ich heute öfter. Ich versuche, bewusster einzukaufen, mir bewusst zu machen, dass ein 3 Euro Tshirt eben nicht fair produziert sein kann. Und versuche Alternativen zu finden. Das klappt nicht immer. Einen kompletten Verzicht wie Madeleine schaffe ich nicht, aber ich gebe mein Bestes, die Katastrophe und die Menschen dahinter nicht zu vergessen.

Morgen, zum Jahrestag des Unglücks, findet zum ersten Mal der Fashion Revolution Day unter dem Motto “Who made your clothes?” statt. Die britische Designer Carry Somers hat den Tag erfunden, um Menschen für ihr Konsumverhalten und die Produktionsbedingungen ihrer Kleidung zu sensibilisieren. Und das ist in der Tat wichtig. Die Unwissenheit, die Gleichgültigkeit ist auch 365 Tage nach dem Unglück allgegenwärtig. Schließlich ist Asien, Bangladesch weit weg. Uns von amazed geht es wie euch. Wir können nicht nur High-Class-Labels und faire Mode kaufen und komplett auf die High-Street-Ketten verzichten. Aber wir können nicht vergessen, können uns bewusst zu weniger Konsum entscheiden und vor allem aufklären. Alternativen aufzeigen und beweisen: Es geht auch anders.

Damit das Unglück in Bangladesch 2013 das wirklich letzte war.

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