Kein Keller in Kolumbien





Vor zweieinhalb Jahren hat sich Catalina zum ersten Mal in ihrem Leben einen Pullover gekauft: er war senfgelb, weich und kuschelig. Kurze Zeit später hat Catalina zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen: „Komm, Cata, schnell ...“ hatte ihr Mann eines Morgens gerufen. Dann hat er die Gardine zur Seite gezogen und da war sie: die Welt in Weiß. Und mittendrin flitzte ein Eichhörnchen durch den Schnee den Baum hinauf. „Es sah aus wie eine Postkarte,“ sagt Catalina „Ich kannte sowas nur von Postkarten. Es war unglaublich schön das zu sehen.“
Damals war Catalina 26; zum ersten Mal hat sie gespürt, wie sich Kälte anfühlt. Niemals hätte sie gedacht, dass es so kalt sein kann: minus 14 Grad.
Wie man sich bei solcher Kälte kleidet wusste Catalina nicht: „Ich habe wie immer meine Leggins angezogen. Aber das war keine gute Idee,“ sagt Catalina und lacht. „In der U-Bahn habe ich geweint, weil ich so gefroren habe.“



Im Herbst 2011 hat Catalina Kolumbien verlassen und ist nach Deutschland gekommen. Seitdem hat sie vieles zum ersten Mal erlebt, nicht nur die Kälte. Und über so manches hat sie sich gewundert: dass man Putzwasser in die Badewanne gießt, beispielsweise. Das fand Catalina anfangs richtig eklig: „In Kolumbien schüttet man das Wasser im Patio in den Abfluß.“ Oder als sie bei ihrer Schwiegermutter im Keller war und dort die vielen Lebensmittel gesehen hat: „Ich habe das gar nicht verstanden. So viel Essen. Ich dachte, sie muss sehr reich sein. Oder verrückt.“ Aber Catalina hat für ihren Integrationstest einen Geschichtskurs belegt. Und so hat sie langsam verstanden, warum die Deutschen so viel Essen im Keller lagern: „Bei uns ist das anders, alles wird frisch gekauft. Und wir haben keine Keller in Kolumbien.“

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Manchmal kommt es Catalina vor, als müsste sie alles neu lernen: „Wie ein Kind.“
Auch die Sprache: „Deutsch ist eine schöne Sprache. Aber sehr kompliziert. Es ist ein bisschen wie Mathematik,“ sagt Catalina, und es macht den Eindruck, als hätte sie Talent zum Rechnen.
Manchmal fragt sie nach, wenn sie bei einem Wort unsicher ist; dann wiederholt sie es bedächtig und nickt und lächelt, als hätte sie einen kleinen Schatz gehoben.




Vor über vier Jahren hat sich ein junger Mann aus Wiesbaden auf den Weg nach Kolumbien gemacht. Ein Jahr lang wollte er dort in einer sozialen Einrichtung arbeiten. Aus einem Jahr sind zwei geworden, denn recht bald hatte er Catalina kennengelernt. Sie haben sich verliebt, waren zusammen und schließlich haben sie geheiratet; in Kolumbien. Catalina strahlt, als sie davon erzählt: „Das war ein großes Fest ... mit Familie und allen Freunden ...toll.“

Dann sind sie gemeinsam nach Deutschland gegangen: „Der erste Monat war wie Urlaub. Ich habe mir alles angesehen, die Stadt, die Kirchen, wie ein Tourist.“ Nach Europa zu gehen, davon träumen viele junge Kolumbianer. „Früher gab es den amerikanischen Traum, heute ist es eher der europäische Traum,“ sagt Catalina. Reich und wohlhabend, so stellen sie sich Europa vor; ein Land in dem vieles möglich scheint – vor allem ein besseres Leben.







„In Kolumbien sind viele Menschen arm,“ sagt Catalina. „Es gibt sehr viel Kriminalität. Man kann ermordet werden nur für ein Handy.“ Catalina ist in Cali aufgewachsen, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, in der Nähe des Pazifiks. Viele Menschen aus dem Umland kommen in die Stadt, weil sie hoffen, dass es ihnen dort besser geht. Aber auch hier leben sie in Armut, und besonders die jüngeren werden aggressiv.
In Kolumbien hat Catalina nie ihren echten Ehering getragen: “Ich hatte immer einen Ersatzring aus Silber an, weil ich Angst hatte. Oder Fahrradfahren – man kann nicht fahrradfahren,“ sagt Catalina und schaut dabei auf ihr Rad. „Und zwar nicht, weil es irgendwo geklaut wird, sondern weil es einem weggenommen wird, man wird beraubt.“






Catalina ist Sängerin. In Kolumbien konnte sie davon gut leben: „Ich habe in einer Band gesungen, wir hatten viele Auftritte. Als Musiker bekommt man viel Anerkennung in Kolumbien, “ erklärt Catalina. „Man ist privilegiert.“ In Deutschland muss sie erst mal Fuß fassen als Sängerin und Musikerin. Gerne würde sie an der Musikhochschule studieren, sie ist dort bereits Gasthörerin. Aber Catalina ist beeindruckt von dem Niveau und dem Können der Anderen und sie hat Sorge, dass sie nicht gut genug sein könnte.






Dass Musik nicht nur Perfektion und Können ist, das weiß Catalina: „Ich will so singen, dass die Menschen die Lieder fühlen können. Wir kennen so viele Lieder und so lange Texte, und manchmal sind sie nur schwer zu verstehen. Und dann hört man jemanden singen und plötzlich versteht man sofort.“ Catalina will mit ihrer Musik Menschen berühren, sonst macht es in ihren Augen keinen Sinn zu singen: „Musik ist für die Menschen da, Musik ist nicht für die Musik da.“







Vor einem Jahr ist Catalina für vier Wochen nach Kolumbien geflogen: „Der Winter war so lang und so kalt, und ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.“ Sie hat ihre Familie gesehen und ihre Freunde, die ihr hier so oft fehlen. Sie hatte viele Auftritte und hat Interviews gegeben: dass sie nun in Europa lebt hat ihr in ihrer Heimat viel Aufmerksamkeit beschert.
In einem Jahr werden ihre Eltern sie in Deutschland besuchen, darauf freut sich Catalina sehr. „Meine Mutter ist meine Heldin.“ sagt Catalina. Sie ist stolz auf ihre Eltern, die es geschafft haben neun Kinder großzuziehen: „Wir waren sechs Kinder. Aber dann ist mein Onkel bei einem Unfall gestorben und so haben meine Eltern seine drei Kinder auch noch aufgenommen.“ Catalina ist die jüngste – manchmal erzählt die älteste Schwester von der Armut in der sie anfangs gelebt haben: „Unsere Eltern hatten ein einfaches Holzhaus. Es gab keinen Boden, der Boden war die Erde.“ Catalinas Eltern haben sich aus der Armut hinausgearbeitet. Wie ihnen das gelingen konnte, darüber wundert sich die älteste Schwester noch heute. „Wir skypen oft, und das ist fast immer Thema,“ sagt Catalina. „Wir haben alle einen Schulabschluss oder studiert, und als ich auf die Welt gekommen bin hatte unser Haus auch einen richtigen Boden.“






Seit zwei Jahren lebt Catalina nun in Deutschland, aber zuhause fühlt sie sich hier noch nicht. Sie mag Deutschland und sie mag Köln. Sie ist dankbar in einem so sicheren Land zu leben und sie hat sich daran gewöhnt, Pullover und Jacken tragen zu müssen. Aber sie ist noch zwischen den Welten. „Hier bin ich wie ein Mensch ohne Geschichte,“ sagt Catalina. Es gibt kein Früher, kein Damals. Alle Menschen die sie kennt, kennt sie noch nicht lange. Und sie kennt viel weniger Menschen als vorher: „In Kolumbien habe ich manchmal mein Handy ausgemacht, weil ich mal meine Ruhe haben wollte. Hier ist das nicht nötig. Wenn es klingelt, dann freu ich mich total.“

Wenn Catalina sich verloren fühlt, fährt sie mit dem Fahrrad durch die Stadt. Im Sommer wird sie bei einem Festival auftreten und gemeinsam mit einer Freundin schreibt sie eigene Lieder. Sie weiß, dass es noch dauern wird, bis sie sich in Deutschland zuhause fühlt.
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