Mirka von Lilienthal

Übers Ausprobieren.

Dass ich mal mit Kindern arbeiten würde, war nichts, was mir (und vor allem auch anderen) immer klar war. Ich treffe häufiger Kolleginnen, die bereits mit 15 wussten: Ich werde Erzieherin. Mit 15 sah ich mich eher als mutige Kriegsberichterstatterin oder hippe Kulturjournalistin. Wie ich dann tatsächlich in die Kita kam, daran musste ich denken, als ich auf den tollen Blog von Jannike stieß, die 30 Jobs in einem Jahr ausprobiert. Jannike ist gelernte Bürokauffrau und hat einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften – im Moment, drei Jahre sogar, ist sie auf der Suche. Auf der Suche nach mehr als einem Beruf: nach einer Berufung. Lustigerweise führte der erste Job, den sie ausprobiert hat, sie in eine Kita.

‘In den Arm nehmen hilft. Immer. Die ersten erfolgreich getrockneten Tränen machen mich schon ein wenig stolz. Die ersten ausgestreckten Arme auch.’, das schreibt Jannike in ihrer Reflexion zur Kita-Woche. Wie wahr! Wie schön!

Irgendwie habe ich bei diesen Worten eine Zeitreise gemacht und musste an meine ersten Praktikumswochen denken, die sich einerseits irrsinnig weit weg und andererseits wie gestern passiert anfühlen. De facto ist das jetzt alles knapp anderthalb Jahre her. Anderthalb Jahre, fast drei Semester Frühpädagogik und mittlerweile drei Kita-Jobs her. Mein erstes Praktikum war ein Wohlfühl-Praktikum, so würde ich das heute beschreiben. Ich stehe immer noch in Kontakt mit der Einrichtung, in der ich meine ersten vorsichtigen Schritte gemacht habe, habe dort auch im vergangenen Sommer mein erstes Uni-Blockpraktikum absolviert. Dort habe ich damals sehr viel Zuspruch erfahren. Sehr viele bekräftigende Worte. Sehr viel Unglauben, dass ich nicht eher auf die Idee gekommen sei, mit Kindern zu arbeiten. Vorsichtige Warnungen habe ich dort auch mit auf den Weg gegeben bekommen: Schlechte Bezahlung, hohe körperliche Belastungen, nicht sonderlich viele Jobs in der Region. Ratlose Gesichter gab es damals vor allem im privaten Umfeld. Dass ich ein Studium abbrechen würde, damit konnte man irgendwo noch leben. Philosophie, Politikwissenschaft, Geschlechterforschung, Kulturanthropologie… Das waren Studienfächer, die ich in Göttingen ausprobiert hatte und die vieles in mir ausgelöst hatten, aber kein Behagen. Das waren auch Fächer, die Unverständnis in Umfeld ausgelöst hatten, aber immerhin ein “Irgendwas Rentables kann man damit sicher werden”-Unverständnis. Mit Frühpädagogik wird man Kita. Punkt. Und in die Kita gehört niemand mit gutem Abi. Punkt. So oder so ähnlich würde ich verkürzt mal die Gedankengänge zusammenfassen, die besagte Menschen umtrieben haben müssen. Es kam auch Support, natürlich, vor allem von den Menschen, bei denen es mir wichtig war, was sie dachten. Bei denen es mir wichtig war, dass sie bei dieser Entscheidung an meiner Seite waren und mir den Rücken stärkten. Sie sahen das Leuchten in meinen Augen, ein Leuchten, das in den Monaten des “Horrorstudiums” ziemlich rar gewesen war.

Geleuchtet hat alles an mir bereits am ersten Tag dieses Wohlfühlpraktikums. Ich bin am Spätnachmittag nach Hause gefahren und wusste es. Wusste es, dass ich mit Kindern arbeiten würde. Recht schnell hat sich herauskristallisiert, dass der Krippenbereich am spannendsten für mich war, auch, wegen eines Erlebnisses, an das ich bis heute oft denke, weil es mich in dem Moment so ergriffen hat: Als ein bitterlich weinendes kleines Mädchen (1,5 Jahre alt), das gerade erst eingewöhnt worden war, sich nur von mir trösten lassen wollte, die Arme nach mir ausstreckte. Das war so mächtig und schön. Überhaupt: Ein Kind trösten können. Einem Kind die Welt schöner machen können oder zumindest erträglicher. Besagtes Mädchen habe ich ein Jahr später im zweiten Praktikum wiedergetroffen. Obwohl ich dieses Mal nicht in ihrer Gruppe war, hat sie sich plötzlich im Turnraum auf meinen Schoß gesetzt und bei jeder Gelegenheit, bei der wir uns getroffen haben (zum Beispiel auch im Garten), ist sie auf mich zugekommen. Manche Kinder suchen sich einen einfach aus.

Anderthalb Jahre gehe ich nun diesen Weg, immer mit einem verdammt guten Gefühl, sonst hätte ich vermutlich doch noch nach anderen Pfaden gesucht. Gerade in den letzten Monaten hat sich noch einiges vom “Was will ich mal werden, wenn ich groß bin”-Puzzle für mich zusammengefügt, vor allem dadurch, dass ich über Weiterbildungen und Schulungen gestolpert bin. Ein wenig liebäugele ich aktuell damit, mir ein zweites Standbein in der Familienberatung aufzubauen. Elternkurse geben, junge Familien betreuen, die für die Nachsorge keine Hebamme gefunden haben (bezüglich Stillen, Tragen, Pflege…). So etwas. Deswegen mache ich ab April bei der Gesellschaft für Geburtsvorbereitung eine Ausbildung zur Familienbegleitung. Da hier die Schwerpunkte stark auf Themen liegen, die mit dem Arbeitsfeld der Hebamme zumindest Schnittmengen haben, versuche ich mir gerade ein Kreißsaal-Praktikum zu organisieren. (Wetten, ob ich bei der ersten Geburt umkippe und/oder heule, werden ab jetzt angenommen.) Ehrenamtlich werde ich mich künftig für Hallo Welt einbringen, eine Initiative, deren Botschafter*innen junge Familien, auf Wunsch, besuchen, ihnen ein Familienbegleitbuch überreichen, für Fragen zur Verfügung stehen und auch kleine Unterstützungsangebote (z.B. mit Mutter und Kind spazieren gehen, mal kurz ein Auge auf die Kinder haben, wenn die Mama mal ungestört duschen gehen möchte…) können abgesprochen werden. Hierfür steht donnerstagsabends die nächsten Wochen eine insgesamt 40stündige Schulung an. Und, last but not least, hat sich letzte Woche etwas endgültig geklärt, das lange ein bisschen in der Schwebe war, aber: Ich lasse mich zur Tagesmutter schulen. An der Uni wurde für den Tagespflegequalifizierungskurs geworben und da ich das irgendwie noch in meinen Wochenplan quetschen konnte, lerne ich jetzt mittwochmorgens, was eine kompetente Tagesmutter ausmacht, da im Raum steht, dass ich das letzte Jahr meines Studiums, das ich primär mit einem Praktikumsnachbereichtungsseminar und dann nur noch meiner Thesis verbringe, eventuell in diesem Berufszweig verbringen könnte.

Doch worauf wollte ich mit diesem Post nun eigentlich hinaus? Nachdem ich mich kurz gesammelt habe, ist es mir wieder eingefallen: Darauf, dass wir alle den Mut haben sollten, zu suchen, zu hinterfragen, zu probieren. Ja, ich mache im Moment viel und manche Sachen kommen zu kurz (immerhin habe ich ein paar Folgen Call the Midwife geschafft und mich immens reinverliebt, was man quasi auch als Weiterbildung werten könnte!), aber das ist nur eine Phase. Eine Phase, die mir so viele Antworten auf die Frage gibt, was später mal mein Beruf ist und schon unlängst meine Berufung geworden ist.

(Bild via Susana Fernandez.)



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