praxisleben

So, nun also zu meiner Famulatur in der Allgemeinarztpraxis. Entgegen den Vorstellungen von Avialle wurde ich nicht dazu gezwungen und ich langweile mich auch nicht zu Tode. ;-) Auch wenn es jetzt nicht so aufregend ist und ich wenig Praktisches machen kann, macht es mir eigentlich Spaß – die Atmosphäre und das Team sind wirklich sehr nett und ich lerne recht viel durch zuhören. Dadurch, dass ich letztes Mal auf der Rettungsstelle so unheimlich viel Gelegenheit hatte, Anamnesen und Untersuchungen durchzuführen, Röntgenbilder und EKGs zu befunden etc. und hier sowieso nur ein winziger Bruchteil der Zeit mit Untersuchung verbracht wird, bin ich mit der Situation eigentlich ganz zufrieden.

Ich hatte mir die Praxis ausgesucht, weil sie nicht nur 5 Minuten Fußweg von hier weg ist, sondern ich dort selbst auch schon als Patient war und ich wusste, dass die Termine nicht so husch-husch in zwei fünf acht Minuten abgehandelt werden, sondern relativ viel Zeit fürs ärztliche Gespräch genommen wird. Und da ist dann schon mal erstaunlich, was man mit so ein, zwei gezielten Fragen herausfindet… aber dazu später.

Außerdem wusste ich, dass der Arzt mit einer relativ ausgewogenen Mischung von Naturheilkunde/Homöopathie und Schulmedizin arbeitet – und beides ernst nimmt! – was ich einen interessanten Ansatz finde. Ich kenne genügend Ärzte, die z.B. Homöopathie als eine Art Placebo anbieten, weil ihre Patienten gerne so behandelt werden wollen, was mich ähnlich aufregt wie Naturheilkundler, die die Schulmedizin verteufeln und umgekehrt. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie mit Homöopathe erstaunliche Heilerfolge erzielt wurden, was meinen kleinen inneren Naturwissenschaftler unheimlich hippelig macht, weil er gerne wissen würde, wie und warum das so funktioniert hat, und warum es in Doppelblindstudien anscheinend nicht nachgewiesen werden kann – aber fürs erste hab ich mal beschlossen, unvoreingenommen zu sein und ein bisschen mehr darüber zu lernen.

Schlussendlich wollte ich mal Famulatur in einer Allgemeinmedizinischen Praxis machen, weil das eine der Fachrichtungen ist, die ich mir später für mich vorstellen könnte. Vor allem nach der Katastrophe in der Kinderarztpraxis… wobei das im Nachhinein zu großen Teilen bestimmt auch daran lag, dass ich mit dem Arzt (und er mit mir) einfach nicht konnte.

Jedenfalls ist es in der Praxis sehr nett, die Räumlichkeiten sind bunt gestrichen und total toll, der Arzt ist mir wirklich sehr sympatisch und mit seiner Assistenzärztin, die montags und dienstags in der Praxis ist, verstehe ich mich auch super. Sie übernimmt hauptsächlich die “akuten Fälle” mit den kurzfristigen Terminen, was vor allem auf Erkältungen, grippale Infekte, HWIs etc. hinausläuft und hat erstaunlich viele von “Omas Hausmittelchen” in petto, die sie den Patienten ans Herz legt.

Was ich auch schön finde, ist, dass es sich bei bestimmt der Hälfte der Patienten um Familien handelt, die dann incl. Kinder antanzen. Gerade, weil die Infekte oft halt in der ganzen Familie herumgehen, weil sich Probleme mit den Kindern oft auch auf die Gesundheit der Eltern übertragen, weil der Stress der Eltern, Beziehungsprobleme etc. sich so häufig auch auf die Kinder auswirken. Wenn man dann zum Arzt geht und der das sieht und ein offenes Ohr für die Probleme hat, können glaube ich auch viele schlimmere Dinge verhindert oder zumindest aufgefangen werden. Auch wenn ich dem Kinderdoc zustimme, dass die Vorsorgeuntersuchungen besser vom richtigen Kinderarzt gemacht werden sollten.

Ich bin also, wie gesagt, hauptsächlich mit Zuhören beschäftigt, auch wenn ich den einen oder anderen Patienten schonmal selber befragen und untersuchen durfte, wenn der Herr Doktor noch am Telefon beschäftigt war. Wenn es interessante Dinge zu sehen/hören/fühlen gibt – Beläge auf den Seitensträngen, gerötete Trommelfelle, Rasselgeräusche – darf ich auch nochmal draufschauen/hören/fühlen, ansonsten ist es eher ein über die Schulter gucken. Und Fäden (von einer Leistenbruch-OP) durfte ich einmal ziehen. Ansonsten stellt er mir schon ab und zu mal Fragen, fragt nach meiner Meinung oder bittet mich, was zu erklären – als Student muss ich das schließlich noch wissen! – und ich freue mich, wenn ich mit einbezogen werde. Das Fallspektrum reicht von Innere über Pädiatrie, HNO und Derma bis hin zu MiBi/Infektiologie, HNO, Orthopädie und ganz wichtig: Psychosomatik, so dass es eigentlich immer ganz abwechslungsreich ist. Ich war nur ganz erstaunt, dass sich neben den Infekten vor allem die Blockaden im Ileosakralgelenk häufen: bestimmt 7 Stück in den letzten zwei Wochen! Und noch niemand mit Verdacht auf Thrombose – dass es da so regionale Unterschiede gibt… ;-)

Die Gespräche finde ich jedenfalls oft sehr erstaunlich. Wenn man eine Patientin mit HWI/Blasenentzündung fragt, was ihr denn so “an die Nieren geht” und sie unter Tränen von der Situation mit dem krebskranken Elternteil in der Reha, der wahrscheinlich nicht mehr zu Hause gepflegt werden kann, wenn er sich nicht mehr anstrengt, erzählt, kann einem schon mal die Luft wegbleiben. Und das ist kein Einzelfall. Manchmal sind es kranke Eltern, manchmal “böse” Schwiegermütter, manchmal unnachgiebige Chefs oder eifersüchtig-klatschend-mobbende Arbeitskollegen… Und ich glaube, es tut den Leuten gut, sich das von der Seele zu reden. Sie gehen ein bisschen leichter, ein bisschen glücklicher aus der Praxis.



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