Ines Montani

Schlandmania – Warum sich hier dringend etwas ändern muss


Sobald man sich kritisch über die WM äußert, heißt es schnell “Ihr wollt uns doch nur den Fußball schlecht machen!”, gefolgt von einer Auflistung unzähliger angeblicher Nebeneffekte wie Zusammenhalt, Spaß oder Integration. “Vorsicht, Gutmenschen im Anti-WM-Fieber” titelt die AfD im Rahmen ihrer “Flagge zeigen”-Kampagne.

Seit 2006 ist es gang und gäbe, wieder Flagge zu zeigen. Sie wehen an Autos und Häusern, zieren die Gesichter der Fanmeilen-Besucher und Prominenten (wenn auch nicht immer gekonnt) und bestimmen wochenland das Stadtbild jeder Klein- und Großstadt. Fakt ist: Nicht jeder, der sich am Spieltag in schwarz-rot-gold schminkt oder sich eine Flagge seines Lieblingsteams (natürlich dem deutschen!) an den Balkon hängt, ist ein böser Nationalist. Im Gegenteil. Ich traue dem Großteil der Bevölkerung zu, zwischen “Deutschland!” und “Das Deutsche Team!” zu unterscheiden, wenn sie beim Public Viewing mit ihren Fahnen wedeln. Zumindest in einer ruhigen Minute abseits des Schland-Rauschs. Nichtsdestotrotz tragen auch sie unbewusst zu einem größeren Problem bei: der Veralltaglichung von Nationalsymbolen und Nationalstolz.

“Nationalism teaches you to take pride in shit you haven’t done & hate people you’ve never met.” Anarchei.me

Der Mensch ist ein Rudeltier. Er fühlt sich gerne einer Gruppe zugehörig und nimmt dafür vieles in Kauf. Die Medien sind voll von “in” und “out” – wer dazu gehören will muss gut aussehen, intelligent sein, Geld haben. Reich, berühmt, sorglos und begehrt sein. Das sind die Ideale, denen die Menschheit nacheifert und die meisten schaffen es trotzdem nicht in den engeren Kreis. Bei einem Ereignis wie der WM ist das ganz einfach: Ich habe einen deutschen Pass. Ich bin Deutschland! “Wir” sind Deutschland! “Wir” haben gewonnen! “Wir” sind im Halbfinale! “Wir” sind Weltmeister! Studien bestätigen dieses einfache Prinzip. So kommt Sozialpsychologin Dagmar Schediwy nach ihrer Befragung von Sportlern und Fans zu dem Schluss:

“Um Party geht es den meisten nicht. Es ist die Sehnsucht nach Gemeinschaft, die lockt. Von entspanntem Nationalismus kaum eine Spur. Die Leute meinen es ernst. (…) Es geht den meisten vielmehr darum, die Zugehörigkeit zu ihrem Land auszudrücken. Fast trotzig, weil man ja so lange nicht durfte.” Zeit.de

Ein Wettkampf, bei dem zwei Nationen gegeneinander antreten, beinhaltet auch immer eine klare nationale Abgrenzung mit ebenso klaren Regeln. WIR sind Deutschland. IHR nicht. Auch andere Sportereignisse haben dieses Problem, keine Frage. Aber Herrenfußball ist nun einmal das beliebteste von allen, das (fast) die ganze Gesellschaft umfasst. Jeder, egal, ob Fan oder nicht, wird zwangsläufig mit den Auswüchsen konfrontiert. Gerade deswegen sollte man sie besser im Blick haben – denn die WM erreicht jeden.

Dabei kann ich mich sehr gut in Fan-Sein hineinversetzen. Ja, ich kann es im Gegensatz zu anderen Kritikern sogar verstehen, wie man mit einer Mannschaft mitfiebern und sich über ihren Erfolg freuen kann. So sehr unterscheidet sich das nicht von meinen Tagen, als ich noch Bands hinterhherreiste, mich mit Merchandise eindeckte und es eins der schönsten Erlebnisse war, auf einem Konzert inmitten von Gleichgesinnten zu feiern. Ja, das ist Spaß und Lebensgefühl – aber darum geht es hier nicht. Problematisch ist, wenn sich das schöne Fansein subtil und (trotz Vuvuzelas) leise mit nationalistischen Idealen vermischt. Wenn der Stolz auf die deutsche Mannschaft sich im Kopf mit dem Stolz auf das eigene Deutschsein vermischt. Denn das Ganze ist ein schleichender Prozess. Nach wochenlangem “WM-Fieber”, Zugehörigkeitsgefühl und Fußball-Party-Nationalstolz bleibt immer etwas hängen. Die Zeit war schön, wir waren wichtig, wir waren wer. Warum sollte das nicht immer so sein?

Ich bin hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Der Geschichtsunterricht meiner Mutter hörte nach der Weimarer Republik auf und fing beim Jahre 1945 wieder an. Kein Wort zum Dritten Reich, keine Details zum Zweiten Weltkrieg. Meine Generation ist die erste, die von klein auf gelernt hat, die Geschichte zu verstehen und sich auf allen Ebenen mit ihr auseinanderzusetzen. (Manchmal bis zum Erbrechen, was in so ziemlich jedem deutschen Schulfilm nach 2000 mehr oder weniger humorvoll

thematisiert wird.) Unsere Identität baut darauf auf, es besser zu machen. Wir haben gelernt, mit der Kollektivschuld zu leben und damit umzugehen. Und gleichzeitig haben wir eine geschichtliche Verantwortung. Die, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht nochmal geschieht. Das sind wir nicht nur den Opfern des Nationalsozialismus, sondern auch uns selbst schuldig.

Nur weil gefühlt das ganze Land ein paar Wochen mit Flaggen wedelt, bricht sicherlich noch kein Dritter Weltkrieg aus. Nur weil Fußballfans “stolz auf Deutschland sind” und damit vielleicht nur das deutsche Team meinen, wird noch lange keine Minderheit deportiert und vergast. Hoffentlich wird dies hier nie wieder geschehen.

Wenn wir die deutsche Geschichte betrachten, machen wir aber oft einen großen Fehler. Wir machen Hitler und seine Helfer zu den alleinigen Monstern, damit wir uns um eines keine schmerzlichen Gedanken machen müssen: die große Masse der Befürworter und die noch größere Masse der Mitläufer. Sprich, das, was in den Köpfen der Menschen passiert. Die persönliche Unsicherheit als Resultat einer Krise und die akute Angst vor Überfremdung ist ein perfekter Nährboden für subtile nationalistische Tendenzen. Totalausfälle wie bei Schland Watch sind da nur die Spitze des Eisbergs. Fast problematischer ist die schweigende Masse, die sich über Jahre und Jahrzehnte langsam an Alltagspatriotismus und Party-Nationalismus gewöhnt.

Es ist ein Irrglaube, zu denken, man dürfe nur das kritisieren, wofür man auch eine Lösung parat hat. Denn für manche Probleme gibt es einfach keine perfekte Lösung. Ich plädiere nicht für ein striktes Verbot von Nationalsymbolen. Ich würde weder Fußball, noch Sport-Großereignisse verbieten (auch wenn angesichts der Zustände in Braslien durchaus eine Neuorientierung angebracht wäre). Aber ich fordere trotzdem eine kritischere Auseinandersetzung mit Nationalsymbolen, anstatt sie gedankenlos durch die Stadt zu tragen. Eine kritischere Auseinandersetzung mit verharmlostem Nationalstolz, der ein Klima der allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber problematischen Denkweisen schafft – denn “das wird man ja noch mal sagen dürfen”. Ich fordere, Verantwortung zu übernehmen und unsere Gesellschaft nicht zu einem Pool von fragwürdigen Idealen verkommen zu lassen, an denen sich Menschen aufgeilen können, die endlich mal wieder jemand sein wollen. Dafür stehe ich ein, weil ich nicht anders kann. Ich will es besser machen.

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