theorie & praxis – Geschäftsstraßen

Wie man dem Titel entnehmen kann, startet Vienna Cycle Chic eine neue Serie über Theorie und Praxis. Wir werden aus verschiedenen Blickwinkeln über das Radfahren in der Stadt schreiben und dabei immer wieder die Theorie mit der Praxis vergleichen und hoffentlich spannende und/oder neue Erkenntnisse bringen.

Der erste Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Einkaufstraßen und Radwege.

Kürzlich ist die Befragung rund um die Mariahilfer Straße zu Ende gegangen und die Fußgängerzone inklusive Radweg wurde bestätigt. Vor der Abstimmung gab es geteilte Meinungen, die auch von den Medien aufgenommen wurden. Ganz besonders interessant war die Auffassung der Kaufleute bzw. der WKO, die mit der Angst vor Umsatzrückgang gegen die Fußgängerzone mit Radweg argumentierten. So was finden wir immer äußerst spannend, da Angst etwas irrationales ist und solche Argumente üblicherweise leicht zu widerlegen sind. Selten lassen sich jedoch eben diese “verängstigten” Leute mit einer solchen Theorie überzeugen.

Trotzdem zuerst zum “trockenen” Teil: Erst vor einigen Tagen berichtete ein Artikel in der Zeit über die Auswirkungen von Radinfrastruktur auf Städte und besonders auf Geschäftsstrassen. Dabei wurde berichtet, dass in Amerika in beinahe allen großen Städten Fahrradanlagen getestet und/oder eingebaut werden. Ein bekanntes Beispiel ist in New York City. In der 9th Avenue wurde vor einiger Zeit ein vom motorisierten Verkehr getrennter Radweg eingebaut und seither gibt es tatsächlich Auswirkungen auf die Geschäfte in dieser Straße: 49% mehr Umsatz verzeichnen Geschäfte und Betriebe durch diese Veränderung. Eine Steigerung von 10-20% im Handel oder der Gastronomie ist schon bemerkenswert. Aber das ein Radweg solche Effekte hat…?

Das Department of Transportation in New York hat dazu eine Untersuchung durchgeführt. Es wurden in mehreren Straßen und auf Plätzen eine Vielzahl an Faktoren in Bezug auf die Auswirkung auf angrenzende Geschäfte gemessen (Faktoren: Steuern & Abgaben der Geschäfte, Einfluss auf den Immobilienmarkt, Beschäftigung, Baugenehmigungen, etc…). Die Studie hat vor dem Umbau der jeweiligen Gebiete begonnen und wurde nach dem Umbau weiter geführt. Die Ergebnisse zeigen, dass “Sustainable Streets” wie sie genannt werden überall zu einem wirtschaftlichen Wachstum führten (teilweise von mehr als 100%). Wichtig ist hier zu erwähnen, dass in solchen Straßenabschnitten eine Vielzahl an Maßnahmen zusammen kommt und nur ein Teil auf die Fahrradanlage zurück läuft. Trotzdem wird der Einfluss lt. DOT als beträchtlich erachtet.

Bei der Durchführung der temporären Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße ist leider keine begleitende Business-Studie durchgeführt worden (uns ist jedenfalls keine bekannt). Durch die einfache Erhebung der Umsatzsteueranmeldungen der letzten, sagen wir 6 Quartale, wäre zumindest ein wirtschaftlicher Teil einfach nach zu vollziehen. Andere Daten fehlen jedoch gänzlich. Eine solch prominente Straße hat immer Auswirkungen auf die Nebenstraßen und Gassen, dabei könnte man eine Vielzahl an Daten sammeln und auswerten (Bsp: Verkehrsströme: Vergleich real – geplant, Nutzung öffentlichen Verkehrs, Umsatz der Geschäfte, etc…).


Wie soll ein/e Geschäftsmann/Frau nun diese Zahlen glauben?

Erinnern wir uns an die Angst der Kaufleute in der Mariahilfer Straße. Was ist ihre Sorge? Das KundInnen ausbleiben. Das KundInnen sich nicht die Mühe machen, den Weg auf sich zu nehmen. Eine irrationale Angst, die mit Zahlen nicht belegt werden kann. Mobilität ist überall immer auch eine einkommens- und bildungsabhängige Angelegenheit. Auto = Status = Geld = Erfolg, diese Regel verfolgt der Großteil der österreichischen Gesellschaft. In der Theorie weiß man, dass sich auf lange Sicht das direkteste und schnellste Verkehrsmittel durchsetzt. Trotzdem sind solche Änderungen oft nicht rational für jedermann verständlich, sondern müssen erfahren werden. Wichtig ist allen wohl in einer schönen Umgebung einzukaufen. In der Praxis suchen wir nach Orten, die eine gewisse Gemütlichkeit und Ruhe haben, um dort einzukaufen. Der Raum vor dem Schaufenster, die Gasse oder der Platz vor einem Geschäft oder Kaufhaus haben eine grosse Bedeutung. Wir mühen uns am Samstag in die Innenstadt, um genau das zu erleben.

Dieses Paradoxon löst man nicht von heut auf morgen. Und für die Mariahilfer Straße auch sicher nicht mit einer Fußgängerzone alleine.

Sehr schade ist, dass seit dem Projektstart vor 2 Jahren nicht alle Bereiche der Wirtschaft im 6. & 7. Bezirk untersucht wurden. Es wären mit größter Wahrscheinlichkeit auch keine Bürgerbefragungen notwendig gewesen. Die Daten, die man hätte sammeln können, hätten mehr Inhalt bringen können als jede von vornherein gerichtete Befragung. Die Argumente, die man mit diesem Prestigeprojekt hätte aufbauen können, wären für etliche andere Orte in Wien sehr wertvoll gewesen. Leider ist eine solche nachhaltige Form der kommunalen Arbeit in Wien nicht gewünscht.

Fazit: Im Fall von Fahrradanlagen ist der so oft genannte Feind, die Wirtschaft, vermutlich sehr leicht vom Gegenteil zu überzeugen, wenn man die richtigen Mittel einsetzt und seine Sache ernsthaft, professionell und nachhaltig macht.

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