Fahndungsfragen

Menschen, die sich in Frankfurt bewegen, die in ihren Social Media-Kreisen mit Menschen aus Frankfurt zu tun haben, werden vielleicht darüber (Content note: Beschreibungen von sexualisierter Gewalt) gestolpert sein. Gesucht wird ein Mann, der mehrmals versucht habe, verschiedene Frauen zu vergewaltigen, mit Phantombild.

Das erste Mal las ich davon, als mein Bruder es auf Facebook teilte, Überschrift: “Sexualstraftäter schlug sechs Mal in Frankfurt zu”. Das ist nicht das Zeug, das mein Bruder normalerweise teilt. Ich suchte nach einem Witz, einem 4fuckr-Bezug oder ähnlichem, aber da war nix. Einer seiner Freunde, der eher fingerüberkreuz mit sexistischen Witzen ist, kommentierte “kranke Scheiße…” und ich wunderte mich.
Darüber, wer das teilte und wer es (die Tat, nicht das Teilen) verurteilte.
Darüber, dass ausgerechnet diese Vorfälle geteilt wurden, so aus allen ausgeübten sexualisierten Übergriffen und Belästigungen.
Darüber, dass die Übergriffe überhaupt zu einem Suchaufruf führten und dieser meinen Bruder erreichte.

Einen Tag später sah ich aus den Augenwinkeln das Phantombild des gesuchten Täters auf einem Werbebildschirm bei den S-Bahngleisen, erkannte eine Überschrift, irgendwas mit “100 eingegangene Hinweise” und ich fragte mich “genau 100, echt?” Und: “Oh, das ist also wirklich ein großes Ding?”

Ja, ich bin abgestumpft. Ich habe sexualisierte Gewalt so sehr als Alltagsrealität erkannt, dass mich Beispiele davon nicht mehr überraschen. Hätte ich für jeden Vorfall die angemessene Wut, ich käme vor Schreien zu nix mehr (meine schreiende Wut ging heute dafür in diese Richtung. Content note: transfeindliche Gewalt). Also übe ich Muster zu erkennen und denke nach.

Heute dann reichte eine Unidozentin einen Zettel rum, auf dem die Pressemitteilung der Polizei mit Bild gedruckt war, sie bekam das von Kolleg_innen per Mail. Ich kannte den Aufruf im Prinzip ja schon und reichte den Zettel weiter, ohne ihn zu lesen. Ich fand es so seltsam, dass dieser Fall sogar als Zettel im Seminar rumging. Sie riet uns noch, uns zu wehren, wie die angegriffenen Frauen, die den Täter vertreiben konnten, und bestimmte Gegenden nicht aufzusuchen, in denen das passierte, also z.B nicht am Main joggen zu gehen oder am Lokalbahnhof rumzuhängen. (Ich muss nicht erklären, weshalb das kein durchdachter oder hilfreicher Rat ist, oder?)

Ich will hier nicht unbedingt über die Taten selbst sprechen, sondern mich meiner Verwunderung über meine eigenen Rezeption der Sache annähern. Wohin sonst sollte ich es erzählen, wenn nicht ins Internet hinein. Vielleicht fällt euch auch was dazu ein.
Also: Wie und wieso schafft es diese Polizeipressemeldung in Zeitungen? Wieso werden andere Suchen eingestellt, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte, trotz Foto oder Autokennzeichen? Weshalb sticht dieses Ding so raus? Warum ist ausgerechnet diese Nachricht of general interest?

Eine Möglichkeit ist, dass es ins Narrativ des unbekannten Übergreifers aus dem Gebüsch (sinnbildlich) passt, der das Opfer im Dunkeln überfällt, statt dass es sich wie bei den meisten Fällen von sexualisierter Gewalt um bekannte oder vertraute Personen handelt. Dazu passt auch, wie das Äußere des Täters beschrieben wurde; sich also auch ein rassistisches Narrativ bedienen lässt. Der Böse kann eindeutiger als böse und bedrohlich erzählt werden, es lässt sich leicht verbreiten, weil es eine bereits gehörte Erzählung ist, die wenig in Frage stellt.

Das Ganze kann auch zu einer “interessanten Meldung” für Zeitungen geworden sein, weil die Taten in einem kurzem Zeitraum so häufig aufeinander folgten und das ja mutmaßlich von ein und derselben Person; also dass ein noch zu fassender Serientäte3 eine bessere “Geschichte” hergibt als ein sogenanntes “Beziehungsdrama”. Und es kann überhaupt erst zur Meldung werden, weil die Überfallenen sich an die Polizei gewandt haben. Die das ernst nimmt und seriös verfolgt, apparently. Was mir krass vorkommt. Und im Prinzip ist es krass, dass mir das krass vorkommt.

Ich frage mich auch, was für Folgen die Dynamik hat, die das Phantombild in unseren Seminarraum getragen hat. Die Funktion ist, Zeug_innen und damit den Täter zu finden. Aber sie macht Angst, erinnert die als Frauen Wahrgenommenen an den Default-Mode des Auf-der-Hut-Seins, verfestigt all die “don’t get raped”-Affirmationen. Wie geht es, Verbrechen zu verfolgen, ohne Diskriminierungsmuster wachzurufen?

Im Zusammenhang damit, diesen Text zu schreiben, darüber nachzudenken, las ich die Pressemitteilung genauer – eine der Taten wurde hier begangen. Vor meiner Haustür, more or less. Eher more als less. Auf dem Weg, den ich jeden Tag zur Uni und zurück gehe. Wieder zurück zum Rat der Dozentin: Avoid these places. Ja wie? Ich gehe da lang, ich wohne da. Ich ging da vorhin lang, im Dunkeln. Dass das an der gleichen Stelle noch mal passiert, glaube ich nicht. Es könnte jederzeit, jederorts passieren. Das für möglich zu halten, ist schon eine Weile keine “kranke Scheiße…” mehr sondern eher “a reality I live in”. Obwohl andere Gewaltmöglichkeiten viel wahrscheinlicher sind. Aber ich kann nicht nicht da lang gehen. Ich kann mich nicht nicht in der Welt bewegen. Und weiß nicht richtig, was ich mit dieser Meldung machen soll.

(Wenn ich noch mal drüber guck, liest sich das unter Umständen als Verteidigung/Inschutznahme des Täters. Which it is not, ich bin da mehr so Team Aufsmaul.)



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