Nachhaltige Mode: Im Gespräch mit H&M

Auch wenn wir bei LesMads über Highstreet-Ketten und deren neue Kollektionen berichten, ihre Produkte vorstellen und teilweise auch tragen, geht es bei uns ebenso um Nachhaltigkeit und faire Mode, weil wir diesen wichtigen Themen ebenso eine Platform bieten möchten. So zum Beispiel kürzlich im Newsflash, als wir mit euch über den Nachhaltigkeitsbericht von H&M diskutiert haben. Außerdem informiert euch unsere wunderbare freie Autorin Franziska wöchentlich über Eco Fashion und stellt u.a. neue Labels vor. Diesmal berichtet sie über ihren Besuch beim Recyclingunternehmen I:CO und ihr damit verbundenes Gespräch mit H&M. Wir hoffen, dass ihr Artikel euch einen aufschlussreichen Einblick gibt und sind ihr sehr dankbar für diese reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema!

Kürzlich wurde ich von H&M zu einem Besuch bei I:CO eingeladen. I:CO ist ein Tochterunternehmen des Schweizer Dienstleisters für Textilvermarktung und Textilrecycling Soex, der in Wolfen (Sachsen-Anhalt) das weltgrößte und modernste Textilsortierungswerk betreibt. Der Hintergrund der Einladung: die Besichtigung der (beeindruckenden) Anlage und ein Gespräch mit Mitarbeitern von H&M aus der Nachhaltigkeitsabteilung. Mit der Initiative „Closing the loop“ hat es sich die Highstreet-Kette zum Ziel gesetzt, Textilien aus dem Hausmüll und damit aus den Mülldeponien zu verbannen – dort landen nämlich tausende Tonnen an aussortierten Kleidungsstücken, obwohl diese noch tragbar sind oder recycelt werden könnten.

Es ist kein Geheimnis, dass ich H&M (und anderen vergleichbaren Textilunternehmen) gegenüber sehr kritisch eingestellt bin und eigentlich nur über solche Hersteller schreibe (und bei ihnen kaufe), deren Nachhaltigkeit Substanz hat. Dennoch siegte meine Neugier und ich wollte die vielleicht einmalige Chance nutzen, dem Unternehmen direkt Fragen stellen zu können.

2013 hat H&M das Programm Kleidersammlung eingeführt und in den Filialen Sammelbehälter aufgestellt. Jeder kann dort alte Kleidung abgeben und im Gespräch macht der Environmental Sustainability Manager Hendrik Lampa deutlich, dass idealerweise nur solche Kleidungsstücke in ihren Filialen landen sollen, die nicht mehr tragbar sind und auch nicht im Freundeskreis getauscht oder an eine Hilfsorganisation gegeben werden können. Jeder darf soviel ungewollte und aussortierte Kleidung (egal von welchem Hersteller) vorbei bringen, wie er möchte. Auch eine Belohnung gibt es: pro Tüte Klamotten bekommt man einen Rabattgutschein für den nächsten Einkauf, allerdings werden pro Tag maximal zwei Gutscheine pro Person ausgegeben. Weltweit wurden seit dem Start dieses Programms 13.000 Tonnen Bekleidung gesammelt.

Was passiert nun mit der Bekleidung, die von H&M bei I:CO landet? Sie wird zuerst sortiert. In Wolfen landen jeden Tag etwa 350 Tonnen Altkleider, rund 15 Prozent davon stammen von I:CO (die neben H&M auch noch mit zahlreichen anderen Unternehmen zusammen arbeiten). Sortiert wird anhand von 350 Kriterien und von Hand, 750 Mitarbeiter werden dafür in drei Schichten beschäftigt. Ein großer Teil wird als Secondhand-Ware nach Afrika oder Osteuropa und als Vintage-Bekleidung verkauft. Diese tatsächliche Wiederverwendung von Kleidung als Kleidung macht dabei etwa 60 Prozent der von I:CO gesammelten Ware aus. Die restlichen 40 Prozent werden recycelt, davon endet der Großteil als Dämm- und Isolierstoffe in der Autoindustrie oder als Putzlappen – das ist dann Downcycling. Ein vergleichbar kleiner Teil wird als Faser erneut für die Herstellung von Kleidung genutzt. Bei H&M ist der derzeitige Anteil an recyceltem Material in einem Kleidungsstück aus Qualitätsgründen auf 20 Prozent limitiert. Seit 2013 gab es zwei Kollektionen, in denen tatsächlich Material aus der I:CO-Sammlung verwendet wurde.

Auch wenn ich im Vorfeld in einer (sehenswerten) Reportage schon erfahren hatte, dass das Recycling von Textilien und die Wiederverwendung von Fasern durch die große Verbreitung von Mischgeweben gar nicht so einfach ist, fand ich es dennoch ernüchternd, wie viel oder vielmehr wie wenig Altes tatsächlich in neuer Bekleidung bei H&M landet. Auch auf meine Frage, warum das Abgeben von Bekleidung mit einem Rabattgutschein und damit der Motivation zu neuem Konsum einhergeht, bekam ich keine befriedigende Antwort. Klar, H&M ist ein profitorientierter Konzern, dessen Existenzgrundlage der Verkauf von Klamotten ist. Jedem Kunden steht es frei, den Gutschein zu nutzen – so die Anmerkung des Unternehmens.

Für meine Fragen zu den Arbeitsbedingungen wurde netterweise ein Telefoninterview organisiert – dafür sind Mitarbeiter aus dem Bereich Nachhaltigkeit Social Standards zuständig. Kurz zuvor wurde der neue Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, der sich unglaublich gut liest, und eine neue Conscious Collection vorgestellt. Wenn man den schönen Worten im Bericht glauben schenken darf, ist H&M in Sachen Nachhaltigkeit auf Zack. Was aber wirklich hinter den vielen Worten steckt, hat Nunu Kaller von Ich kauf nix schon sehr ausführlich aufgeschrieben, deshalb verweise ich hier auf ihre Artikel (auf die H&M auch schon reagiert hat).

Im Telefoninterview wollte ich nun wissen, warum die relativ neue Kampagne „Living Fair Wages“ bisher nur als Pilotprojekt in einer Handvoll Fabriken statt findet. Die Antwort klang zunächst plausibel, aber ehrlich gesagt, kann ich es immer noch nicht nachvollziehen – können Menschen nicht einfach grundlegend besser bezahlt werden? Besser bedeutet bei Living Fair Wages auch leider nur: der Lohn reicht für die Grundbedürfnisse. Ein Teil dieser Initiative ist es zudem, die Arbeiter in der Fabrik zu mündigen Verhandlungspartnern zu schulen – das Ziel ist ein Dialog zwischen Belegschaftsvertretern auf der einen Seite und Fabrikbesitzern oder deren Managern auf der anderen Seite. Dabei will H&M sicherstellen, dass dieses neue Auftreten der Arbeiter keine negativen Folgen für sie hat. Nachdem ich im Buch „Todschick“ von Gisela Burckhardt über die Behandlungsmethoden von Textilarbeitern in Fabriken von H&M, und vor allem von den Beschimpfungen gegenüber Frauen gelesen habe, hoffe ich hier wirklich auf Erfolge und große Veränderungen zugunsten der Textilarbeiter.

Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir ein wenig gewünscht habe, nach all der Beschäftigung mit H&M positiver gestimmt zu sein. Ja, das Unternehmen macht was (aber eben nicht genug): mehr Transparenz in Sachen Lieferantenkette gewähren, denn diese ist Teil des Nachhaltigkeitsberichts. Auch die Detox-Verpflichtung von Greenpeace mit der Eliminierung von Schadstoffen hat H&M unterschrieben und dafür alle notwendigen Informationen offen gelegt. Zudem ist das Ziel, den Textilkreislauf zu schließen und zukünftig Textilmüll zu vermeiden, sehr gut.

Aber H&M weiß nicht nur, dass sie aktiv werden müssen, auch der Druck von Seiten der Mitwettbewerber steigt. Die Konkurrenz hat ebenfalls das Detox-Abkommen unterschrieben und H&M kann sich gar nicht leisten, bei einer solchen Kampagne nicht mit dabei zu sein. Zudem gehört im Heimatland Schweden das Ziel „Closing the loop“ bei allen Textilunternehmen zum guten Ton und auch hier ist H&M damit quasi zu Handlungen gezwungen. Darüber hinaus werden die Kunden tatsächlich sensibler und wollen wissen, woher ihre Kleidung stammt. Gut, wenn dann schon was zu Nachhaltigkeit auf der Webseite steht.

Nach unserem Besuch bei I:CO schrieb mich eine der anderen Journalistinnen an und fragte, was denn mein Fazit sei und ob ich nun einen Einkauf bei H&M empfehlen würde. Meine Antwort lautet ganz klar: nein. Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass für eine grundlegende Veränderung in der Modeindustrie auch die Großkonzerne Teil des Prozesses sein müssen, fällt meine Kaufentscheidung und Kaufempfehlung immer zugunsten der Hersteller aus, die Nachhaltigkeit von Anfang an als selbstverständlich angesehen haben.

Vielen Dank an H&M für die Gespräche und den Einblick ins Unternehmen, der mir im Rahmen der Möglichkeiten gewährt wurde.

Und ein ganz großes Dankeschön an Katja, die mich hier jede Woche die guten Modeunternehmen vorstellen lässt.


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