Vom schönen Studieren (mimimi ahead).

In einem Moment masochistischer Desillusionierung hab ich letztens die Lebensläufe der Mitarbeiter des Instituts gelesen, an dem ich studiere. Danach hab ich mir meine Mitstudenten angesehen und erkannt, dass ich eine fundamental falsche Einstellung zum Studieren habe. Seitdem überlege ich, ob ich nicht vorsichtshalber ein Handtuch unter die Brücke legen soll, um mir dort einen Platz zu reservieren.

Auch die Dozenten, die ihren Namen noch nicht mit einem Prof. Dr. Dr. schmücken können, präsentieren sich in ihren Lebensläufen als wahre Wunderkinder. Nachdem sie ihre Karrieren als Redaktionschefs der Schulzeitung wegen Glanz-Abiturs beenden mussten, haben sie gleich vier Parallelstudiengänge begonnen, um nicht unterfordert zu sein. In den Semesterferien haben sie Skandale der Lokalpolitik aufgedeckt oder sind nach Afrika geflogen, um Kinder zu füttern. Ober-Überflieger, die sie waren, besuchten sie daneben Fortbildungskurse bedeutsamer Arbeitskreise und Gesellschaften oder gründeten selbige gleich selbst. Aus Sonderseminaren zum Erringen des Weltfriedens ging niemand ohne 1,0-Schein nach Hause. Im zweiten Semester konnte jeder eine Publikationsliste vom Umfang eines chinesischen Telefonbuchs vorweisen. Im dritten Semester folgte die Promotionsstelle.

Sie sind sämtlich stipendiert von der Von und zu Graf Hastdunichtgesehen Stiftung für ans Faustische grenzende Genialität. Ihre Auslandssemester bezahlte der Bundespräsident höchstpersönlich. Sie haben internationale Praktika bei Firmen wie der Congenial Competence Corporation und der Association of Impressive Skillls gemacht und durften danach als External Creative Media Communication Leadership Excellence Promoting Consultant quereinsteigen. Und das Schlimmste: Keiner von ihnen ist übergewichtig – ihre Disziplin muss unbeugsam wie eine Betonwand sein, denn offensichtlich hat niemand bei diesem Arbeitspensum verzweifelt zur Schokolade gegriffen.

Ich dagegen bin ja ein ziemlicher Gammler. Mein Naturzustand ist die pyjamierte Horizontale. Mein Lieblingsoutfit sind die Give-up-on-Life-Pants, mit denen ich mittlerweile so ungeniert wie ungeschminkt zum Supermarkt spaziere, um meine Vorräte an Tee und klebrigen Milchgetränken aufzustocken. Quälte ich mich früher noch mit Kontaktlinsen und Puder ab, bevor ich ins Seminar ging (um wenigstens so auszusehen, als würde ich mir Mühe geben), dürfte ich dort mittlerweile als leichenähnlicher Kinderschreck verschrien sein. In den Semesterferien rette ich meistens auch nicht die Welt; ich sichere mir ja nicht mal durch eventuelle Glanzleistungen in diversen Praktika zukünftige Arbeitsplätze, sondern scheitere stattdessen daran, zwei Hausarbeiten zu schreiben. Meine Hobbys sind kochen und backen und komisches Zeug zeichnen, und damit verbringe ich am liebsten meine Freizeit zuhause; nicht mit der ehrenamtlichen Organisation einer Sammelaktion fürs örtliche Altersheim oder dem Engagement in der Fachschaft, damit die Erstis alle Jahre wieder eine spannende Stadtrallye machen können. Nach der niederschmetternden Lektüre der Lebensläufe unserer Dozenten und Professoren allerdings frage ich mich, wie ich mit dieser Lebenseinstellung jemals was anderes werden soll als die asoziale Tauschmutti beim Frauentausch.

Ist von denen einer mal in Jogginghose Abendessen kaufen gegangen, weil aus Versehen der Kühlschrank leer war? Oder haben die dem Postboten immer schon ausschließlich mit Kant und Habermas in der Hand die Tür geöffnet, die Stirn vorwurfsvoll gerunzelt angesichts dieser allzu weltlichen Störung?

Wahnwitzigerweise sind es nicht nur der Prof. Dr. Faustus und Konsorten unseres Institus, die mir Sorgen machen, was aus mir werden soll. Auch die anderen Studenten überfordern mich mit ihrem hitzigen Karrieredrive maßlos. Als desillusionierte Langzeitstudentin kann ich mit so viel Motivation gar nicht umgehen. Sie verursacht mir akuten Schüttelfrost und den heftigen Drang, zum Ausgleich der geballten Ernsthaftigkeit meiner Kommilitonen die Augen in verschiedene Richtungen zu rollen und wirres Zeug zu faseln, wann immer ich mit ihnen in Kontakt komme.

Meine Vorstellung vom Studieren war ja immer, dass es um viel mehr geht als nur darum, ungeheure Mengen von destilliertem Wissen anzusammeln. Leider bin ich für solche Vorstellungen wohl knapp ein halbes Jahrhundert zu spät geboren. Hätte ich in den wilden 60ern studiert, wären solche wahnwitzigen Ideen von Freiheit und Entfaltung vielleicht ja noch angegangen. Aber die Ära Post-Bologna verbietet solche geistigen Kapriolen. Heute zu studieren fühlt sich manchmal an wie ein fortschreitender Prozess der Zombifizierung, nach dem Prinzip: Verkaufe Seele gegen ECTS- und BQ-Punkte, Credits, Schlüsselqualifikationen und was es noch alles an quantifizierter Leistung zu erbringen gilt. (Mein Gammlerherz fühlt sich von der Prüfungsordnung vergewaltigt und weint.)

Es ist ja nicht mal so, als ob ich damit nicht klarkäme. Im Gegenteil, ich kriege es an der Uni sogar ganz gut hin. Aber manchmal, wenn die Realität meine Luftschlösser belagert, muss ich mir ein bisschen in den Mund brechen. Spätestens wenn ich höre, dass meine Mitstudenten schon seit dem 12. Lebensjahr ihren goldumrahmten Lebenslauf darauf trimmen, später an der Universität zu arbeiten oder eine Zeitung zu gründen oder die Welt zu retten, komme ich mir schwer im Hintertreffen vor. Meine Einstellung war ja immer: Das ergibt sich schon beim Bügeln. Aber nachdem mir letztens zu Ohren kam, dass man mittlerweile sogar für einen Kassenjob beim Aldi Abitur braucht, kann ich nur noch hoffen, später wenigstens irgendwo bügeln zu dürfen.

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