Thuy&Kathrin

Modefotografie: Blurred Lines

„Berliner Mode-Strecke? Hui-Hui? Hier.“ Und schneller, als ich bis eins zählen konnte, stand ich wieder auf der Straße in der Greene Street, vor dem Büro des angesagten Nylon Magazins. Eigentlich wollte ich einen Mantel für eine Freundin abholen und dabei die Gelegenheit nutzen, mir die Redaktionsräume einmal genauer anzuschauen. Aber so cool, wie ihre Modestrecken sind, sind wohl auch die Leute bei Nylon.

Ich bewundere deren Arbeit sehr. Statt einfach nur Pressefotos der neuen Teile von Hui-Hui (darunter auch der Mantel meiner Freundin) abzudrucken, wurde direkt eine Das-sind-die-tollsten-Berliner-Labels-Geschichte exklusiv für Nylon in New York fotografiert. Eigentlich eine tolle Idee und eine Ehre – wenn man nur die Kleider auf den Fotos erkannt hätte! Denn als ich mir die Ausgabe kaufte, musste ich feststellen: Die Fotos waren so unscharf abgedruckt, dass man rein gar nichts vom Design der Klamotten erkennen konnte. In diesem Fall war das Werkzeug „Blur“ mal so richtig falsch benutzt worden. Die Modestrecke wirkte auf mich eher wie eine Karikatur der Modefotografie und nicht so sehr wie ein Editorial. Wozu also der ganze Aufwand?

Unschärfe kann Modefotografie interessant machen, oder aber sie ihrem Wesen so weit entfremden, dass sie sich überflüssig macht. Der Zweck von Modefotografie ist ja immer der, Mode zu verkaufen. Mal offensichtlicher und langweiliger, wenn man sich die schärfe und Detailtreue von Katalog-Fotos anschaut. Mal subtiler und aufregender, wenn man sich gute und lebendige Modefotos anschaut, die auch mal verschwommen sind. Wie die von Ryan McGinley, Romano Decker and Dejan Kutic, Pierre Debusschere oder Nick Knight. Letzterer ist ja hauptberuflich im Fashionfilm zu Hause, da schwappt natürlich die Liebe zum bewegten Bild vom Film in die Fotografie über.

Solange die Bewegung dem Bild mehr Leben einhaucht, ist ja auch alles gut. Aber wenn am Ende von einem genial geschnittenen Valentino-Kleid nur noch ein roter Fleck übrig bleibt, dann ist definitiv jemand zu weit gegangen. Entweder der Fotograf oder die Leute in der Post-Production.

Manchmal verraten solche Blur-Bilder auch die Machtverhältnisse oder die Politik, die hinter einer Modestrecke oder einem Modeheft stehen. War hier ein Art Director am Werk, der auf Anzeigenkunden von Gucci bis Vuitton pfeift und auf diese Weise seinen Wunsch nach Unabhängigkeit zeigt? Denn oft genug ist es leider so, dass die Magazine nicht mehr allein über ihre Inhalte bestimmen können. Ist Euch das auch schon aufgefallen? – Es gibt darin so viele Mode-Strecken, die sich kaum noch von Katalog-Shootings unterscheiden. Ganz zu schweigen von den Streetstyle-Fotografien, die in die Modemagazine eingezogen sind. Auf denen die Kleider sogar noch schärfer wirken als im Katalog, weil sie vor einem unscharfen Hintergrund fotografiert worden sind.

Wenn ich mir das so überlege, verstehe ich die unscharfe und verfremdete Modefotografie als eine Art Gegenbewegung und Sehnsucht nach künstlerischer Freiheit.

Der Plan, Aufmerksamkeit zu erregen, geht ja zum Teil auch auf: Im Museum bleibe ich viel länger vor einem unscharfen Bild von Gerhard Richter stehen bleibe, als vor einem gestochen scharfen Foto von Chuck Close (obwohl ich Chucks Kunst liebe.) Man schaut einfach nochmal und vor allem genauer hin, wenn man nicht alles gleich erkennen kann.

Auch ein Bild über einem Foto, wie etwa die kindlichen Malereien von Hunter & Gatti, regt die Neugier und die Fantasie an. Ich denke immer wieder an die Weisheit einer befreundeten Fotografin, die mir einmal sagte, als wir durch eine Fotoausstellung spazierten: „Unscharf ist das allerschwierigste. Es sieht so einfach aus, als könnte es jedes Kind, dem man eine Kamera in die Hand drückt. Aber ein gutes unscharfes Bild hat so wenig mit Verwackeln zu tun wie Stolpern mit Tanzen.“

Ich habe mich mit ihren Worten im Ohr getraut und ein paar meiner scharfen Mode-Fotos nachbearbeitet. Auf dass sie als unscharfe Versionen noch interessanter wirken. Am besten gefällt mir die Idee von Pierre Debusschere, zwei Momente mit dem Wisch-Werkzeug zu verbinden und optisch zu verschmelzen. Die Original-Fotos stammen übrigens aus meinen Beiträgen über Tizia, die perfekte Jeans und Mode Schmuck.

Was meint Ihr? Welches Foto gefällt Euch unscharf besser als scharf?

Der Artikel Modefotografie: Blurred Lines erschien als erstes auf Two for Fashion - Das OTTO-Fashion-Blog.


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