ein Jahr

Heute früh um sieben aufwachen, die Augen reiben, in Viertelschlaf nach Kaffee langen, da liegt ein Säugling neben mir im Beistellbett, angezogen, nicht eingewickelt, und schläft. Vor einem Jahr um sieben auf einem Kreissaalbett liegen, im eigenen Blut und wieder zugedeckt, ein klebriges, warmes, nach Salz riechendes Bündel im Arm. Ich bin müde, weil ich um acht im Seminar sein will, aber lieber ausschliefe. Ich war viel müder, als ich nach einem langen Krankenhauswochenende nicht schlafen konnte vor Wehen, und vor der Kreissaaltür saßen müde Menschen aus dem Internet und warteten die Nacht durch bis in den Mittag. Ein Jahr ist es her, dass ich ein totes Baby gebar. Wie warm und licht der Oktober war.
Ich bin jetzt nicht traurig wie ich damals nicht traurig war, ich gehe Verletzlichkeit aus dem Weg. Könnte traurig werden bei den Couldhavebeens, weil alles so perfekt war: Der Zeitpunkt. Das Kind. Abgesehen davon, dass es nicht perfekt war und deshalb nichts perfekt sein konnte. Aber kein Weinen, eher so “oh”. Ich erinnere mich gern zurück, erinnere mich leichter an das, was schön war. Weils weich war: Ein Aufgehobensein. Gesehen werden, in Watte fallen. Statt vorgekochtem Essen brachten Postboten Karten und Kekse und hundertviel mehr in den Meatspace, wurden wir vom Internet umarmt. Nachträgliches Danke mit den weitesten Armen der Welt. Wir haben heute ein Familienfoto im Friedwald gemacht, in dem das Keimlingskind jetzt rumhängt. Zu viert, sozusagen. Den Herbst mehr gernhaben lernen denn je.



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