Barbara Fürlinger

warum unsere gesellschaft einfach scheiße ist, sich alle schämen sollten und viele jugendliche ohnehin ihr leben überdenken soll

Ich muss mir Luft machen. Schlichtweg muss ich mich aufregen und gedanklich herumschreien, anstatt das jetzt alles in mich rein zu fressen. Die ganze Welt soll wissen, was für asoziale, arrogante, überhebliche Personen mir gerade in der Straßenbahn begegnet sind. Und ich bin nicht gewillt, hier Gnade walten zu lassen oder irgendwelche Ausreden von irgendwelchen Seiten zu tolerieren, so ein Verhalten das mir eben widerfahren ist, kann ich bei bestem Willen einfach nicht verstehen.

Man stelle sich bitte folgende Situation vor: ich kaufe gerade noch friedlich diverse Süßigkeiten in einer der DM-Filialen in der Stadt und bezahle, bekomme die Sachen freundlicherweise von der Kassierin eingepackt, während ich mich mit dem Bankomatgerät plage und mich ärgere, dass mir das einfach immer wieder passiert, dass ich die Karte nicht weit genug reinstecke, dass sie erkannt wird. Abenteuer überstanden, ich bin gerade auf dem Weg zur Station der Straßenbahn, immerhin will ich heim und gehe bald ein, so einen Hunger habe ich.

An der Strassenbahnstation steht ein vermeintlich obdachloser Herr, sein Mantel zerschlissen und eine riesige Reisetasche, in der er wohl seine sieben Sachen mit sich rum trägt und deren Griff ohnehin schon dem Reißen nahe ist. Gut, er braucht etwas Platz mit seinem Gepäck, weil es aussieht, als wären die letzten Überbleibsel seiner Wohnung da hineingestopft. Das Auftreten sagt so einiges über den Mann aus. Er schaut mit dem Kopf zum Boden, seine Beine zittern und er wird wohl mindestens so hungrig als auch müde wie ich sein, nur zehnmal so schlimm. So einer Person anzubieten, etwas zu essen für ihn zu bezahlen, nehmen wirklich bedürftige Menschen oftmals gar nicht an. Zudem haben wir in der Stadt ein ganz gutes System, was Wärmestuben und solche betrifft. Auf dem Weg dorthin war dieser Herr im übrigen, er wollte niemanden dabei belästigen und keinem zur Last fallen. Die Strecke dorthin war auch nicht gerade gering, zu Fuß für einen Herren mit müden Knochen, der sich gerade mal über eine warme Suppe für die 50 Cent, die er noch eingesteckt hat, freuen darf und mit etwas Glück vielleicht einen Platz zum Schlafen findet.

Auch wenn diverse Fahrgäste allesamt geohrfeigt gehören, weil man sich so nicht verhält, will ich der alten Dame, die gleich zum ganz anderen Ein- bzw. Ausgang gelaufen ist, wo doch kein Schwein von ihr verlangt, dass sie den Mann umarmt, oder den Teenies mit ihren schrecklich unaufgesetzten Mützen, die den Mann ausgelacht haben oder vielleicht der Dame mittleren Alters, die sich ihren hübsch getupften Schal gleich um die Nase binden musste, als wären wir den Austritten einer Stinkbombe zum Opfer gefallen, keinen Vorwurf machen. Natürlich ist das alles vollkommen gerechtfertigt und in Ordnung. Schließlich wird der Mensch ja in seinem Leben Dinge getan haben, die seine jetzige Situation rechtfertigen und völlig normal machen werden. Er gehört eben in die unterste Schicht der Hackordnung unserer heutigen Gesellschaft. Da, wo es normal ist, dass sich junge Menschen auf Sitzplätze hocken und alte Menschen stehen müssen.

Kein Mensch von uns weiß, was er durchgemacht hat. Ob sein Schicksal davon abhängig ist, dass er eine rachsüchtige Exfrau hat, die ihn bis auf die Unterhose ausgezogen hat, oder ob er wirklich asozial ist und nie arbeiten gehen wollte oder ob es ihm vielleicht sogar Spaß macht, so ungepflegt und ohne Dach über dem Kopf herumzulaufen. Ich meine entschuldigt mal, aber dass sich ein Mensch mit 50 Cent in der Tasche lieber darum bemüht, etwas zu Essen zu bekommen, anstatt zum Frisör zu laufen, ist irgendwo verständlich. Aber wenn eine Frau ins Nagelstudio, ins Sonnenstudio und zur Pediküre sonstwas läuft, dann noch schön zum Frisör und vielleicht zum Schönheitschirurgen, während die Familie daheim nichts zu essen hat, weil Frau Hübsch alles in ihr Aussehen pustet, ist voll okay. Sie sieht gepflegt aus und riecht gut.

Ich weiß ja nicht, wie es euch so geht, aber auch wenn ich stinkende und dreckige Menschen wie die Pest hasse, finde ich es um Welten schlimmer, wenn diese Menschen ein geregeltes Sozial-, Arbeits- und Privatleben haben, ein Dach über dem Kopf und eine benutzbare Dusche besitzen und so stinken. Es regt sich ja sonst auch keiner auf oder führt so ein Theater mit Tuch vor der Nase auf, wenn jemand stark nach Alkohol oder Zigarettenrauch duftet, was ich im übrigen viel penetranter finde!

So, jetzt habe ich mich so aufgeregt, dass ich den Faden verloren habe, was ich sonst noch dazu sagen wollte, aber im Großen und Ganzen habe ich gesagt, was es zu sagen gibt. Ich finde Leute scheiße, die so herablassend sind.

Wie seht ihr das?

Achja, wisst ihr, was das Traurigste an der ganzen Sache ist? Bevor der Herr in die Straßenbahn eingestiegen ist – ich war hinter ihm – war er so höflich, dass er die Frau, die seitlich von ihm gestanden ist, mit einer winkenden Geste vorgelassen hat. Ich finde das sowas von stark - und dann wird er so behandelt. Einfach traurig.

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