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My Improvised Life #1: "Arm, Aber O-Ho Bude“

Meine erste Wohnung in Berlin war eine wahre Perle. Ich war siebzehn Jahre alt und teilte sie mit meiner gleichaltrigen besten Freundin Lena. Stellt euch vor: Eine Altbauwohnung mit 3 1/2 Zimmern mit vier Meter hohen, stuckverzierten Decken mitten im Prenzlauer Berg Kiez. Sie war so riesig, dass man glatt mit einem Skateboard durch die Räume düsen und Parkour-Stunts vollbringen könnte.

Vor unserem Einzug sah das Gebäude aus, als würde es jeden Moment wie ein Kartenhaus ineinander klappen, doch wir hatten Glück. Die vom zweiten Weltkrieg durchlöcherte Außenfassade wurde pünktlich zu unserem Einzug frisch saniert und bekam einen schlumpfblauen Anstrich. Die Balkone, die einst abrissfällig wirkten, verwandelten sich in gemütliche Outdoor-Chilloasen, die mit feinem Milchglas und Aluminium veredelt wurden. Auch der Korridor wurde rundum aufgepäppelt und ein oskarreifer roter Teppich zog sich wie eine Drachenzunge von oben bis unten über die Treppenstufen. So ein Prachtstück an Wohnung war also in die Hände von zwei Teenagern, wie uns, geraten.

Jetzt stellte sich die Frage: War so eine Wohnung nicht unbezahlbar gewesen, vor allem für zwei blutjunge Mädels, die sich das Taschengeld mit etlichen Nebenjobs dazuverdienten? Eigentlich schon, doch wenn man sich einen alten DDR-Mietvertrag schnappen kann, funktioniert so etwas recht gut. Und wie treibt man so einen Vertrag auf? Man muss nur ein paar waschechte Berliner kennen, die seit den 80ern oder 90ern mit einem alten Mietvertrag in der Hauptstadt leben, den Großstadtdschungel auf einmal satt haben und anschließend beschließen mit der Familie in die weniger turbulente Peripherie zu ziehen.

Familie Piepmatz, die sich genau in so einer Situation befand, waren gute Freunde Lena’s Eltern gewesen. Sobald diese News ins Öffentliche getragen wurden, haben Lena’s Ohren angefangen wild zu flattern. In Nullkommanichts saß Lena bei Familie Piepmatz auf der Wohnzimmercouch und bat sie mit mitleidserregendem Hundeblick die Wohnung von ihnen übernehmen zu dürfen. Und wer sagt's denn: Lena hatte Familie Piepmatz weich gespült. Sie stellten meiner besten Freundin und mir die Wohnung zum alten Mietpreis von 420€ zur Verfügung. Wegen der Zimmeraufteilung einigten Lena und ich uns wie folgt: Sie bekam das größte Zimmer, ich schnappte mir das kleine aber feine und das dritte wurde von ihrem Vater „gemietet“, der vielleicht jede zweite Woche vorbeikam, um dort seine Musikinstrumente zu stimmen.

Lebensweisheit #102: Natürlich gibt es im Leben nie etwas einfach so.

Wir Zwei vereinbarten also einen Deal mit Familie Piepmatz: Sie durften ihr Hab & Gut bei uns im Dachboden verstauen und wenn ihr Sohnemann ab und zu in der Stadt abhängen möchte, darf er mit voriger Ankündigung auch im dritten Zimmer schlafen. Wir wollten uns nicht lange den Kopf über so etwas zermartern, also wiederholten wir im Chor: „Ja, ja!“, „Kein Problem!“, „Das geht natürlich klar!“, „Ja natürlich!“. Der Deal wurde mit einem Handschlag besiegelt.

Bevor wir unsere Wohnung in eine Zone transformierten, in der wir Parties schmissen und leckere Dinner für Freunde abhielten, wollten wir unsere vier Wände natürlich in Hochform bringen. Das Interieur von Familie Piepmatz entsprach nämlich nicht unserem Geschmack - so überhaupt nicht. Frau Piepmatz zum Beispiel, hatte eine starke Affinität zur Tonware, demnach stapelten sich turmweise selbst gemachte, vulvaförmige Topfschalen auf den schmutzigen Küchenregalen. Die Farben der Kücheneinrichtung erinnerten mich an den tristen Essraum meines alten Reiterhofs, der immer muffig roch. Außerdem hingen in jedem Zimmer alte Konservendosen -ähh Lampen- an den Decken. Obendrauf war die ganze Wohnung mit einem unattraktiven Betonstein-farbigen Teppich ausgelegt, der schon etliche Fußabdrücke aufwies. Alles wirkte auf uns so kalt und lieblos. Lena und ich waren uns einig: Wir mussten hier dringend Hand anlegen. Es war die große Kunst der Improvisation gefragt.

Während dieser Phase in meinem Leben, besuchte ich eine Modeschule in Berlin und lebte von knapp 200€ Bafög. Mein Zimmerchen kostete mich 120€ und dann kamen noch Lebensmittel hinzu. Lena ging es nicht besser als angehende Abiturientin. Die paar Euros, die wir als Kellnerinnen dazu verdienten waren auch nicht der Rede wert. Aber wie gesagt, wir waren aus vielen Gründen beste Freunde - einer davon war, dass wir uns im Leben bestens durchwurschteln konnten. Wir dachten selten an Plan B, besser gesagt, wir nahmen alle Hindernisse in Kauf - auch die Tatsache, dass uns gar kein Geld mehr für die Einrichtung blieb. Ich kann nur wiederholen: Mit etwas Erfinderreichtum lässt es sich einfacher Leben. Mit simplen Mitteln brachten wir in Kürze unsere Wohnung, einen wahren Rohdiamanten, wahrhaftig zum Strahlen...

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