Monat der Fotografie in Berlin

Vergessen wir Instagram für einen Moment: Heute beginnt in Berlin der 6. Europäische Monat der Fotografie. Vier Wochen lang steht die Stadt ganz im Zeichen historischer und zeitgenössischer Fotokunst und verwandelt sich mit 250 Veranstaltungen, 500 beteiligten Fotografen und 125 Orten – darunter Museen, Kulturinstitutionen, Galerien, Botschaften und anderen, spannenden Räumen – zum größten deutschen Fotofestival. Die zentrale Ausstellung Memory lab: Die Wiederkehr des Sentimentalen eröffnet das Event heute Abend im Martin-Gropius-Bau und beschäftigt sich mit der Frage, wie geschichtliche und soziokulturelle Ereignisse heute in der Fotografie dargestellt und inszeniert werden. 2014 ist das Europäische Erinnerungsjahr und so setzt sich die Ausstellung auch damit auseinander, wie Erinnerung konstruiert wird und auf welche Weisen sie vor dem Vergessen bewahrt werden kann. Ihre gemeinsame Klammer finden die Ausstellungen im diesjährigen Festivalthema »Umbrüche und Utopien. Das andere Europa«. Bei dem großen – fast überwältigenden – Angebot an interessanten Workshops, Vorträgen, Filmen, Buchvorstellungen, Künstlergesprächen und natürlich vor allem Ausstellungen, ist es leider auch utopisch, alles zu sehen. Ich habe mir das Programm angeschaut und – auch wenn es schwerfällt, mich zu entscheiden – zehn Ausstellungen rausgesucht, die ich gerne besuchen möchte. Hier kommt meine persönliche Top 10:

Als Nummer 1 steht der Besuch im C/O auf der Liste, das ab 30. Oktober seine Türen im Amerika Haus endlich wiedereröffnet!

Kontaktbogen: Inge Morath. A Llama in Times Square. New York, USA. 1957 © Magnum Photos

In der Ausstellung Magnum. Contact Sheets werden 100 Kontaktbögen renommierter Fotografen wie Henri Cartier-Bresson erstmals veröffentlicht.

Inge Morath . A Llama in Times Square . New York, USA . 1957 © Magnum Photos

Sie zeigen Aufnahmen – die heute als ikonisch gelten und sich in unser kulturelles Gedächtnis eingeprägt haben – im Zusammenhang ihrer Entstehung. Was geschah kurz vorher, was folgte im Anschluss? Der Kontaktbogen dokumentiert nicht nur die Entstehung des entscheidenden Moments, er gibt auch einen intimen Einblick in den Arbeits- und Auswahlprozess des Fotografen. Gezeigt werden Reportagen aus dem Zweiten Weltkrieg, Straßenszenen des Prager Frühlings, berühmte Fotografien von Che Guevara, Mohammed Ali und Malcom X, Aufnahmen vom Balkankrieg und Kriegsgebieten im nahen Osten, Porträts der japanischen, brasilianischen und britischen Gesellschaft sowie zahlreiche weitere, weltweit historische Ereignisse, die durch die Augen der Magnum-Fotografen festgehalten wurden. 31. Oktober 2014 – 16. Januar 2015. Eintritt 10 € / 5 €. Vernissage 30.10.2014, 19:00 Uhr.

Da es für mich noch viel über Berlin zu entdecken gibt, habe ich bei meiner weiteren Auswahl einen Schwerpunkt auf die fotografische Auseinandersetzung mit der Stadt selbst gelegt. Es sind Ausstellungen, die aus unterschiedlichen Zeiten und Perspektiven die vielen Facetten reflektieren und einen Einblick in die bewegte Geschichte der heutigen Hauptstadt ermöglichen:

Nummer 2: Ich war verliebt in diese Stadt
Ebenfalls im C/O werden 100 zum Teil noch nie ausgestellte Berlin-Aufnahmen des amerikanischen Fotografen und bildenden Künstlers Will McBride gezeigt. Er war der erste Fotograf, dessen Werk 1957 im Amerika Haus ausgestellt wurde – womit sich nun bei der Wiedereröffnung ein Kreis schließt.

Flaschenspiele im Strandbad Wannsee, 1958 © Will McBride

Seine Schwarzweißbilder aus den Jahren 1956 – 1963 zeigen Menschen und ihre Lebenslust jenseits der bisher bekannten Tristesse der Nachkriegswirklichkeit. Zwischen urbanen Ruinen zeigt er das brodelnde Leben und trotz radikaler, ideologischer Auseinandersetzungen fängt er das jugendliche Freiheitsgefühl im Berlin des Kalten Krieges ein. Eine Stadt im Ausnahmezustand, zwischen Schuttbergen und Milchbars, politischen Kundgebungen und Bootspartys.

Strandbad Wannsee, 1959 © Will McBride

Diese tagtäglichen Gegensätze macht der junge Will McBride, der auch heute noch in Berlin lebt und arbeitet, mit seinen früheren Aufnahmen spürbar. 31. Oktober 2014 – 16. Januar 2015. Eintritt 10 € / 5 €. Vernissage 30.10.2014, 19:00 Uhr.

Nummer 3: Berlin Wonderland
Diese Ausstellung im Gestalten Space lädt zur Zeitreise in die ‘Wilden Berliner Jahre’ von 1990 – 1996. Mit Bildern aus der Perspektive verschiedener Fotografen, die diese fast vergessene Zeit auferstehen lassen und eine Stadt im Wandel zeigen: Als 1989 die Mauer fällt, entdecken Künstler, Punks, Anarchos, Hausbesetzer und Visionäre das ehemalige Niemandsland und verwandeln es in ein Wunderland. Clubs, Bars, Technopartys oder Galerien entstehen und Kreativität sowie ein neues Lebensgefühl lassen Berlin zum Magnet für junge Leute aus der ganzen Welt werden. Die ausgewählten Fotografien reflektieren diesen besonderen Zeitgeist und zeigen, wie Berlin zu dem wurde, was es heute ist. 16.10. – 22.11.2014. Eintritt frei. Vernissage heute ab 18:00 Uhr.

Nummer 4: Pewos Bericht zur Lage der Jugend
Peter Woelcks Arbeiten beschäftigen sich mit Jugendkultur in der DDR und spannen einen Bogen von den 1970er Jahren, mit Aufnahmen von Tanzwettbewerben und Musikveranstaltungen, bis hin zur Dokumentation von Raves in den frühen 1990er Jahren.

Peter Woelck: Ich – Foßplatz Stube, 1973, Copyright: Estate of Peter Woelck, Courtesy: Laura Mars Gallery

Die Laura Mars Gallery präsentiert einen Querschnitt seiner Beobachtungen unterschiedlicher Szenen und Jugendkulturen vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umbrüche dieser Zeit. 21.10. – 22.11.2014. Eintritt frei. Vernissage 17.10.2014, 20:00 Uhr.

Nummer 5: Stasi – Secret Rooms
Leere, verlassene Orte, die sprechen: Einblicke in Gefängniszellen, lange Flure, Büroräume und endlose Aktenregale. 15 Jahre nach dem Mauerfall begeben sich die Künstler Daniel & Geo Fuchs auf Spurensuche, um in den neuen Bundesländern Orte aufzusuchen, die ehemals von der Stasi genutzt wurden. Ihre großformatigen, eindrucksvollen Fotografien geben einen Einblick in die Mechanismen der Stasi und die Verschmelzung von Architektur, Macht und Machtlosigkeit. Bis 9.11.2014. Eintritt frei. Stiftung Starke, Löwenpalais Grunewald.

Daniel & Geo Fuchs: Hohenschönhausen, Vernehmertrakt I aus der Serie STASI – secret rooms, 2004, Courtesy: Stiftung Starke, Löwenpalais Grundewald

Nummer 6: 25 Jahre Mauerfall
Die Ausstellung zeigt zum ersten Mal ca. 50 ausgewählte Fotografien einer Welt im Umbruch, aus der Sicht des Dokumentar- und Pressefotografen Günter Zint. Am 9. November 1989 erhielt er vom Stern den Auftrag, Fotos für ein Sonderheft zur DDR-Grenzöffnung zu schießen. Zink wählte dafür eine Perspektive fernab der Grenze und begab sich stattdessen tiefer ins Hinterland. Dort widmete er sich der Alltagswelt und den scheinbar profanen Dingen des Umbruchs.

Günter Zint: o.T. aus der Serie DDR-Grenzöffnung, 1989, Courtesy: Browse Gallery / Mühlenhaupt Museum Berlin Kreuzberg, Community Impulse Initiative e. V.

Fast 1000 Fotos entstanden in den ersten beiden Wochen nach der Maueröffnung und zeichnen das Versinken einer Gesellschaftsordnung, Lebens-, Kultur- und Konsumwelt in einer anderen nach – widergespiegelt durch Momentaufnahmen von Schaufensterdekorationen, Warenpreisen, Hausfassaden, Einkaufsstraßen und Wahlwerbung der Westparteien.
18.10. – 22.11.2014. Eintritt frei. Vernissage 18.10.2014, 15:00 Uhr. Browse Gallery / Mühlenhaupt Museum Berlin Kreuzberg

Nummer 7: The European Dream – Selfies vom Oranienplatz
»Wenn wir hier bleiben, sind wir sichtbar und haben dadurch die Kraft, politisch etwas zu bewegen. Wenn wir den Oranienplatz räumen, dann werden wir wieder unsichtbar.« Ein halbes Jahr lang führten Flüchtlinge, die ehemals im Protestcamp auf dem Oranienplatz lebten, fotografische Tagebücher. Mit diesen Aufnahmen repräsentieren sie ihre Sicht, ihr Bild vom Leben nach der Räumung im April 2014, von einem Sommer in Berlin, vom Alltag in der neuen Unterkunft und von Demonstrationen und Asylverfahren. Sie erzählen davon, wie es ein halbes Jahr später um ihre Utopien steht – am ehemaligen Ort der Proteste.
16.10. – 16.11.2014. Eintritt frei. Vernissage heute um 18:00 Uhr. Oranienplatz.

Nummer 8: Ordinary City
Neukölln: in der öffentlichen Wahrnehmung Synonym für ‘sozialer Brennpunkt’ und ‘Hipsterland’ gleichermaßen. Die Fotografien von Sabine von Bassewitz verweigern sich solchen Klischeevorstellungen und zeigen eine Ästhetik des Alltäglichen und die vielfältigen Geschichten und Lebenswelten, die es in Neukölln – aber auch in anderen Vierteln europäischer Großstädte – zu entdecken gilt. Bis 9.11.2014. Eintritt frei. Galerie im Saalbau, Fachbereich Kultur des Bezirksamts Neukölln von Berlin.

© Bettina Rheims, Bonkers – A Fortnight in London / Georgie Bee wearing her own amazing shoes

Da die Pasolini Roma-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau noch bis Januar 2015 läuft und ich Bettina Rheims · Bonkers – A Fortnight in London in der Galerie Camera Work schon gesehen habe (sehr zu empfehlen!), sind die letzten beiden Ausstellungen, die ich mir für den Monat der Fotografie vorgenommen habe, diese:

Nummer 9: Pop Art USA – Fotografien von Ken Heyman
Erstmals in Europa präsentiert die Galerie argus fotokunst Arbeiten des Meisterfotografen Ken Heyman, der in über 60 Ländern fotografierte, Mitglied bei Magnum war, für zahlreiche Magazine arbeitete und in Museen wie dem MoMA ausgestellt wird. In den ausgestellten Fotos hat Heyman die Pop Art-Bewegung in den USA in ihrer Anfangsphase in New York dokumentiert – und dafür Künstler wie Andy Warhol, Tom Wesselmann, Roy Lichtenstein, James Rosenquist und Claes Oldenburg in ihren Ateliers und Studios aus nächster Nähe beobachtet und begleitet. Bis 22.11.2014. Eintritt frei.

Nummer 10: ÜBER | MEISTER
Diese Ausstellung im pavlov’s dog, Raum für Fotografie erforscht das spannende und auch spannungsreiche Verhältnis zwischen Meister und Schüler. Erhofft sich ein Mentor, dass sein Stil in den Werken seiner Protegés fortlebt? Und was passiert, wenn der Schüler sich davon emanzipieren, bewusst damit brechen und aus dem Schatten des Lehrers hervortreten möchte? In jeweils einem Bildpaar visualisieren die Exponate die Beziehung zwischen zwei Fotografen – dem Meister und dem Schüler – und zeigen dabei die vielen Möglichkeiten dieser Kooperation auf: von wechselseitiger Beeinflussung und Inspiration bis hin zu bewusster Abkehr und dem Bruch mit der Bildsprache des Meisters. Mit Fotografien von u.a. Tina Bara, Anton Corbijn, Stephan Erfurt, Arno Fischer, Marcus Gaab, Nan Goldin, Anja Grabert, F.C. Gundlach, Evelyn Hofer, Markus Jans, Andreas Mühe, Bernhard Prinz und Martin Schoeller. 18.10. – 29.11.2014. Eintritt frei.

Soviel zu meiner Top 10! Um ehrlich zu sein, bezweifle ich leider, dass ich alles in den kommenden vier Wochen schaffen werde – zum Glück laufen einige der Ausstellungen noch bis ins neue Jahr. Hinzu kommt, dass ich jedes Mal neue, interessante Ausstellungen im Programm entdecke – ganz zu schweigen von den Vorträgen und Workshops. Aber vielleicht ist diese Liste ein Anfang zur Orientierung und eine kleine Inspiration. Habt ihr geplant, den 6. Monat für Fotografie in Berlin zu besuchen? Falls ja, was möchtet ihr dann nicht verpassen? Ich freue mich, wie immer, über eure Empfehlungen!

P.S: Als Fotoautomat-Liebhaberin noch ein letzter Tipp: Ab Ende Oktober sind sechs Automaten im C/O so konstruiert, dass sie den individuellen Stil renommierter Magnum-Fotografen wie Elliott Erwitt, Martin Parr, Paolo Pellegrin, Philippe Halsman, Steve McCurry und Bruce Gilden simulieren. Ein Paradox zwischen Individuum und Maschine und zugleich eine Reflexion auf die Frage nach dem Urheber. Klingt doch nach einem Fotoautomaten-Bild, das man nicht alle Tage bekommt! Für 5€ kann man sein ‘Magnum-Portrait’ als Print mitnehmen oder es als digitale Datei im Internet teilen.

Beitragsbild: Erwin Olaf: Clärchens Ballhaus Mitte – 10th of July aus der Serie Berlin, 2012, Courtesy: Galerie Wagner und Partner. Weitere Fotos by courtesy of C/O Berlin, Camera Work AG und MdF Berlin.

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