schischi und heititei

schischiundheititei.de · Jul 2, 2014

Authentitti…zität?

Spätes Résumé zu einer Diskussionrunde auf der re:publica 2014

Lange habe ich es vor mir hergeschoben, die Entscheidung, ob ich nun etwas zum Thema schreibe oder nicht. Der Entschluss es dann doch zu tun fiel, um es damit aus dem Kopf zu kriegen und mehr Ordnung in die Gedanken zu bringen.

Es ist bereits viele Wochen her, dass ich Teilnehmer der Diskussionrunde „Willkommen in meinen Wohnzimmer: Lifestyle-Blogs“ auf der re:publica war. Stephanie hatte diesen Runde initiiert und hielt zur Einleitung einen Impulsvortrag. Themen, die in ihrem Vortrag zur Sprache kamen und im Anschluss zusammen mit Lotte und mir diskutiert und von Indre moderiert wurden, waren: Inszenierung und Authentizität, der Einfluss von Lifestyle Blogs im Zusammenspiel mit medial erzeugtem Perfektionsdruck, das Verhältnis zwischen Blogger und Follower, Privatsphäre und wie viel geben Blogger wirklich preis, die Grenze zwischen Lifestyle-Blogging und Lifestyle-Porn.

Im Folgenden habe ich nun einige meiner Gedanken dazu zusammen gefasst.

Dein digitales Spiegelbild?

Publizieren, sich präsentieren ist Teil meiner meiner Tätigkeit als Freelancer. Meine gestalterischer Kompetenz ist Grund dafür, dass ich gebucht werde und mein Stil lässt Kunden entscheiden, Aufträge an mich zu vergeben.

Was das fotografische Festhalten des Lebens angeht, so fühlt sich das für mich komplett natürlich an. Mein Elternhaus ist ein Fotografen- und Designerhaushalt. Den Alltag fotografisch zu „dokumentieren“ war normal. Bei uns lag die Kamera auf dem Frühstückstisch, weil leidenschaftlich und gut fotografiert wurde, weil meine Eltern wunderbare und für uns wertvolle Fotoalben kreiert haben, weil dieses Medium einfach selbstverständlich war – und weil der Film voll werden musste.

Einen Teil solcher Bilder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist ein Schritt weiter, der heute sehr einfach geworden ist. Es zu tun entspricht meinem Beruf. Motive zu sehen, fotografisch den besten Blickwinkel zu wählen und hier da auch mal etwas zu arrangieren ebenfalls. Es ist Teil meines täglichen Lebens und das nicht erst, seit es das Internet gibt. Von daher: ich hinterfrage nicht die Fotografie ansich, durchaus aber immer wieder das öffentliche Publikum. Und auch wenn ich versuche so weit wie möglich bei mir selber zu bleiben, ich kreiere da etwas. Klicke „veröffentlichen“ immer bewusst und reflektiert und schaffe ein digitales Bild von mir. Ganz gezielt, weil ich das kann und tue, bevor es jemand anderes macht.

„Lebst Du so oder vera… Du mich?“

Allein die Art des Mediums als Garant für Authentizität anzusehen, ist naiv. Natürlich existiert der unreflektierte Blick, mit dem wir glauben möchten, was Blogs, Instagram und Co. zeigen, ist ungekünstelte Realität. Oft genug ertappen wir uns selbst bei dieser Annahme. Doch müssen wir deswegen anfangen Fotos zu veröffentlichen, die nicht unserem ästhetischen Empfinden entsprechen? Dürfen wir uns deswegen kein schön anzusehendes, digitales Profil erstellen? Der Schrei nach Authentizität ist laut, nur genau wann sind wir authentisch? Und wann käuen wir nur tausendfach Gesehenes wieder? Was genau meint Authentizität und Inszenierung, wenn das Publikum sich über Perfektionsdruck und Leistungserwartung zu beschweren beginnt? Und wie viel Ungeschminktheit verträgt Lifestyle-Publikation eigentlich, bevor sie zur Milieustudie wird?

Alles nur Kommerz?

Kritik häuft sich meist dann, wenn Blogs kommerziell werden. Wenn die digitale Spielwiese sich zum Business wandelt oder von Beginn an als solches geplant war. An dieser Geschäftsidee ist per se nichts Verwerfliches und Bloggen als Business ein respektables Model. Immer wieder angezweifelt wird dann jedoch die Authentizität. Wie sehr bist Du noch Du mit dem was Du machst, wenn nur noch Klicks und Traffic im Fokus stehen und Du von der Zufriedenheit Deiner zahlenden Kunden abhängig bist?

Auch moralisch sehen sich kommerzielle Blogger in die Kritik genommen. Stets perfekt gestylte und oft überschlank auftretende Fashion-Blogger, die den Anschein erwecken, mit einem schier unendlichem Shopping Budget ausgestattet zu sein, stehen inzwischen in der gleichen Kritik, wie klassische Printmedien der Branche. Auch dass Reise-Blogger kontinuierlich für Kurztrips international um die Welt geflogen werden, um damit die Reiseindustrie anzukurbeln, ist nachhaltig, ökologisch und mit der Perspektive auf Peak Oil fragwürdig. Im Printjournalismus haben solche Pressereisen durchaus Tradition, erst das digitale Publizieren in Echtzeit hat diese Umstände für das breite Publikum sichtbar gemacht. In der Lifestyle-Blogosphäre wächst das Bewusstsein, dass immer wieder neue Produkte anpreisen keinen nachhaltigen Content darstellt und man so riskiert zu langweilen oder zu nerven. Am Ende ist es nichts anderes, als das was uns im Analogen „Bitte keine Werbung“-Sticker auf unsere Briefkasten kleben lässt.

Je größer die Followerschaft, je populärer die Publizierenden, desto größer der Einflussbereich – das wird keiner bezweifeln. Doch wächst damit nicht auch die Verantwortung und der Anspruch an vermittelte Ethik, Moral und die persönliche Philosophie? Und wenn ja, wo liegt da die Messlatte? Wer bestimmt, ab wann das geschehen muss? Ab 1.000, 5.000 oder 10.000 Follower? Trage ich nicht mit einer geringen Followerschaft – allein schon als purer Teilnehmer – die gleiche Verantwortung, wie populäre „Influencer“? Sind wir nicht alle gleichermassen „schuld“, Publizierende und Publikum, an dem, was wir an Geschäftsoptionen und Synergie entstehen lassen? Muss ich denn, damit mein Publikum nicht den Bezug zur Realität verliert, explizit darauf hinweisen, dass es auch in meinem Leben schmutziges Geschirr, Staub und Pickel gibt? Darf ich vom konsumierenden Betrachter nicht erwarten, dass beim Blick auf’s Display der eigene Hirngrips nicht auf „off“ gestellt wird?

„Komm se rein …“ – wo beginnt Deine Privatsphäre?

Mit dem Blick in meine Räume lade ich Menschen zu mir nach Hause ein und da ist es aufgeräumt. Etwas das ich so mache, bevor Besuch kommt. Ich vermute, damit stehe ich nicht allein da. Der Tatsache, dass ich mein wohnliches Umfeld als chaotisch bewerte, wenn es anderen noch ordentlich erscheint, mag ein Geschmäckle von „Fishing for Compliments“ mitschwingen. Doch die persönliche Toleranzschwelle für Unordnung ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Genauso unterschiedlich, wie das Barometer für die persönliche Privatsphäre. Der Blick in ein aufgeräumtes Schlafzimmer oder auf den persönlichen Frühstückstisch – ist der häuslichen Mülleimer nicht weitaus intimer?

Ich entscheide, was und wieviel ich preisgeben und damit nicht nur, was die Followerschaft über mich erfahren darf, sondern auch über Inhalte und Anzahl der Daten, die der jeweilige Dienstanbieter für diese Publikation zu mir erhält. Und Letzteres mehr oder weniger bewusst zu steuern macht mindestens genau soviel Sinn, wie die Privatsphäre vor krimineller Energie zu schützen. Denn unsere Daten, unsere Verhaltensmuster sind das Kapital der digitalen Dienstleistungsanbieter, die wir nutzen.

Doch wie viel sagt ein gedeckter Tisch wirklich über mich aus? Was kann man tatsächlich daran ablesen. Woher weiß man denn, dass all dies nicht nur für ein Bild inszeniert wurde? „Das sieht man.“ Ist das so? Oder beherrsche ich die Kunst der vorgetäuschten Zufälligkeit einfach so gut, dass man es schlicht nicht merkt? Verlangt mein Beruf nicht danach, Authentizität abrufbar arrangieren zu können? Und wenn dem so wäre, was ist daran falsch?

Jeder Mensch hat ein ästhetisches Grundempfinden. Wenn ich das derer, die meine Bilder betrachten damit befriedige – vielleicht so sehr, dass sie abonnieren und folgen wollen – dann beherrsche ich einen wichtigen Teil meiner Profession. Dann sind Likes, Herzchen und positive Kommentare eine Bestätigung für Bereiche meiner Kompetenz. Wenn auch nur auf eine recht profane Art. Ich bin Designer. Ich werde wegen meines Sinns für Ästhetik von meinen Kunden gebucht. Nicht dafür, dass ich meine dreckige Wäsche ins Netz stelle.

Muss der Publizierende lernen oder das Publikum?

Ich weiß nicht wo der richtige Weg liegt, bzw. bezweifele ich, dass es nur den einen Wahren gibt. Doch ich glaube, es ist unverzichtbar auf beiden Seiten aufmerksam zu bleiben. Als Publizierender Kritik annehmen zu können und daran zu wachsen. Als Publikum Veröffentlichtes zu differenzieren und verantwortungsvoll einzuordnen. Das es an vielen Stellen danach aussieht, als würden anderen tollere, schönere und bessere Dinge tun als wir selbst und das sie uns dabei perfekt erscheinen, muss man aushalten lernen. Genauso wie man lernen muss, es zu ertragen, dass einen anderen Menschen, so wie man ist oder sich gibt, ablehnen.

First world Problem? Ist es, ja. Doch es ist auch ein Umstand, der unsere Gesellschaft beeinflusst und Ideale formt. Und das halt ich durchaus für wichtig.

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