Mirka von Lilienthal

Als die Hebammen verschwanden. (K)eine Dystopie?

Ich weiß noch, dass ich auf den Studiengang Hebammenkunde stieß, als ich meine große “Was soll bloß aus mir werden?!”-Krise hatte, die bereits mit meinem Studienbeginn als Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie im Oktober 2012 begonnen hatte. “Interessant”, dachte ich und las mich ein wenig ein. Was ich leider immer wieder las: Erste Bedenken bezüglich der Haftpflichtversicherung. Mir war klar, dass ich, sollte ich Hebamme werden, nicht fest in einem Krankenhaus würde arbeiten wollen, sondern primär als Beleghebamme und vor allem als Begleiterin von Hausgeburten. Dass sich das heute und vor allem ab 2016 keine Hebamme mehr leisten kann, dürfte den meisten bekannt sein, denn: Hebamme ist kein Hobby, sondern ein Beruf und von einem Beruf sollte man immerhin sein Leben einigermaßen finanzieren und stemmen können. Viele von ihnen haben bereits das Handtuch geworfen, sind oftmals nicht einmal mehr im Berufsfeld verblieben. Sehr treffende Worte dazu hat Anja gefunden, die hier bereits über Nachwuchssorgen schrieb und Gründe für diese schilderte, die ich so nur unterschreiben kann. Als ich 2012 überlegte, wo für mich die Reise hingehen sollte, war klar: Für Hebamme bin nicht einmal ich idealistisch genug. Dass ich dann Erzieherin geworden bin, zeigt somit ziemlich deutlich, wie schlimm es um den Hebammenberuf im Moment steht. Ich wünsche mir so sehr, dass der Hebammenberuf wieder erstrebenswert für junge Frauen wird (natürlich auch für Männer – schade, dass es in Deutschland nur ganze 3 Geburtshelfer gibt!) und keiner, der für zunehmend prekäre Lebensumstände sorgt. Wenn ich daran denke, wie meine eigenen Kinder mal zu Welt kommen werden, wird mir ganz schlecht. Gedanken an eine Hausgeburt kann man langsam gänzlich begraben, sogar der doch recht bescheidene Wunsch auf eine selbstbestimmte Geburt scheint in Gefahr, wenn man unter Umständen gezwungen ist, in einer großen, hektischen Klinik zu entbinden, die einem überhaupt nicht zusagt, unter den Händen einer überarbeiten Hebamme, die man noch nie zuvor gesehen hat. Ich will die Frau kennen, mit der ich so einen kostbaren, zerbrechlichen und einmaligen Augenblick teile. Ich will mit ihr über meine Ängste und Bedürfnisse gesprochen haben, ich will wissen, warum sie Hebamme geworden ist, vielleicht in Ruhe eine Tasse Tee mit ihr getrunken haben, um zu klären, ob man auf einer Wellenlänge ist. Ich stelle mir unter einer schönen Geburtserfahrung vor, dass es ein Davor gibt. Also: Nicht “nur” den Moment im Kreißsaal, sondern den Prozess des Mutterwerdens. Man ist nicht erst Mutter, wenn man frisch entbunden zum ersten Mal sein Baby im Arm hält – und man muss doch so viele Fragen haben, die man sich vielleicht lieber von einem Menschen beantworten lässt, der einen anlächelt oder im Notfall auch mal drücken kann, als von Klugscheißer Google. Eine gute Betreuung vor, während und nach der Geburt ist viel mehr als ein nettes i-Tüpfelchen, nämlich im Rahmen der Frühen Hilfen. Hebammen können sich zu Familienhebammen weiterbilden lassen und in Familien mit besonderem Unterstützungsbedarf tätig werden. Hebammen haben einen viel besseren Zugang zu Familien, als andere Akteur*innen der Frühen Hilfen, da sie automatisch an den jungen Eltern dran sind und nicht das Stigma “Jugendamt!!!” an ihnen haftet.

Doch wie bin ich jetzt überhaupt auf diese Thematik gekommen, so als kinderlose Nicht-Schwangere? Zum einen, weil ich “Von Windeln verweht – Aus dem Leben einer Hebamme” von Esther Howoldt las, die als Hebamme in Frankfurt praktiziert. Das 2013 erschienene Buch umfasst 288 Seiten, auf denen Howoldt, die selbst vier Kinder hat, schildert, wie sie zur Geburtshilfe kam und was für Erfahrungen sie in den vergangenen Jahren gemacht hat, in denen sie nun schon Kinder auf ihrem Weg ins Leben begleitet. Ihre Erzählungen sind mitunter lustig und flapsig, immer mitreißend und bewegend und ab und zu auch sehr nachdenklich und traurig. Ich lege euch das Buch sehr ans Herzen, wenn ihr den Bereich der Geburtshilfe genauso spannend findet wie ich und einer toughen Frau, die ihre eigene Ausbildung schwanger mit dem dritten Kind abschloss, ein wenig imaginär über die Schulter schauen wollt.

Die gleiche Ungewissheit, die Howoldt hier bei einem werdenden Elternpaar beobachtet hat, scheint im Moment – im übertragenen Sinne – das Berufsfeld der Hebamme gepackt und in einen eisigen Klammergriff umfasst zu haben:

Die beiden ertrugen die Ungewissheit nicht, die nun mal einfach zu einer Schwangerschaft gehört wie die Befruchtung. Sie wollten nicht darauf warten müssen, dass ihr Baby gesund auf die Welt kam – sie wollten es jetzt wissen. Aber in der Geburtshilfe kann man nichts versprechen. Das macht sie ja so besonders. Allerdings ahnte ich, dass ich hier gerade solch philosophische Erkenntnisse nicht vermitteln konnte.’ (S. 146)

Deswegen schreibe ich diesen Blogpost zum anderen auch, weil sich etwas tun muss. Es muss sich etwas tun, das Frauen, die sich voller Optimismus und Begeisterung für den Beruf der Hebamme entschieden haben, ermöglicht, in diesem bis zur Rente zu verbleiben. Horrende Haftpflichtversicherungen müssen verhindert werden, denn sie bedeuten, dass freiberufliche Hebammen aufgeben müssen! Es wird dann keine Beleghebammen mehr geben (also Hebammen, die ihr vor der Geburt kennen lernt, die die Vorsorge durchführen und die ihr anruft, sobald es losgeht, damit sie euch in einem kooperierenden Krankenhaus entbinden) und erst recht keine Hausgeburten mehr. Weil ich der Überzeugung bin, dass das mit aller Kraft verhindert werden muss, habe ich ein bisschen recherchiert, was eigentlich so aus den Hebammenprotesten geworden ist, die ich im letzten Jahr grob mitverfolgt hatte. Auf Facebook stieß ich auf Informationen, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Zum einen möchte ich auf die Seite Hebammenunterstützung verweisen, eine Elterninitiative, die sich für freiberufliche Hebammen einsetzt und somit für die Wahlfreiheit des Geburtsortes. Hier findet ihr eine tolle Liste, wie ihr euch in Aktion begeben könnt (können wir uns bitte darüber unterhalten, wie genial das “Atomkraftwerke sind versicherbar – Hebammen nicht”-Shirt ist?). Zum anderen ist gerade ein Verein ein Planung. Darüber wurde in dieser mitgliederstarken Facebookgruppe informiert. Wer Interesse hat, unter Umständen bei der Vereinsgründen mitzuarbeiten (ihr müsst dafür ausdrücklich keine Hebamme sein, hier formieren sich primär Unterstützer*innen) und vielleicht sogar Skills aus den Bereichen Vereinsgründung und Öffentlichkeitsarbeit mitbringt, ist sicher mehr als willkommen, seinen Weg in diese Gruppe zur Vereinsgründung zu finden. Ich habe mich jedenfalls mal vorsichtig eingeklinkt und schaue, was sich da so die nächsten Wochen und Monate tun wird.

Zum Abschluss möchte ich mir noch einmal ein paar schöne Worte von Esther Howoldt leihen, die wie die Faust aufs Auge passt:

Manchmal stelle ich mir das Leben eines Menschen wie die Kurve vor, die der Wehenschreiber zeichnet. Der Anfangspunkt der Kurve ist der Beginn des Lebens. Mit der Zeit entwickelt sich der Körper, unser Verstand, die Persönlichkeit: Die Kurve steigt an. Dabei geht es zwar immer mal ein bisschen auf und ab, aber die Kurve, das Leben, bleibt bestehen. Doch manchmal ist es eben anders. Dann fällt sie schon nach sehr kurzer Zeit wieder ab, noch bevor das Leben spuren hinterlassen kann. Aber selbst darin kann es den Schimmer einer Hoffnung geben.’ (S. 170)

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.



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