Erica Fischer – Aimée und Jaguar

Es gibt eine unüberschaubare Anzahl von Büchern, in denen Menschen von ihrem Leben während des zweiten Weltkriegs erzählen. Unter anderem deswegen ist mein Bedarf nach diesen Lebensberichten relativ gesättigt; mit 11 las ich ohne jegliche Vorahnung Anne Franks Tagebuch, das ich meiner Mutter aus dem Regal stibitzte, und läutete damit eine intensive, etwa drei Jahre andauernde Lesephase von allem ein, was mit dem Dritten Reich zu tun hatte. Seitdem suche ich mir Literatur zu diesem Thema sehr gewählt aus. Aimée und Jaguar allerdings habe ich ohne zu Zögern gelesen, nicht zuletzt, weil es die Grundlage des gleichnamigen Films mit Juliane Köhler und Maria Schrader (hachseufz) ist (dieser Film! Sowas müssten sie mit uns in der Schule ansehen!).
Felice “Jaguar” Schragenheim und Elisabeth “Lilly” Wust lernen sich 1942 in Berlin kennen. Felice ist Jüdin, Lilly eine deutsche Hausfrau mit vier Söhnen und Mutterkreuz. Trotzdem verlieben sie sich ineinander – innerhalb der kommenden Monate zieht Felice bei Lilly ein, die sich von ihrem Mann scheiden lässt, beide planen ihre Zukunft in den buntesten Farben. Ständig schwebt über ihnen das Damoklesschwert einer Deportation Felices – im August ’44 tritt die Schreckensvorstellung ein. Von Theresienstadt über Auschwitz nach Bergen-Belsen kann Lilly den Leidensweg ihrer Freundin verfolgen, dann – nichts. Am Ende des Jahres 1945 wird Felice für tot erklärt. Lilly hat den Verlust nie verwunden.

Erica Fischer hat sich für dieses Zeitzeugnis mit Lilly unterhalten. In ihrem Nachwort hat sie allerdings davon abgesehen, die Beziehung zwischen Aimée und Jaguar zu verklären, im Gegenteil; für mich hat ihr kritischer Standpunkt zu Lillys Erinnerungen und ihr Einblick in den Entstehungsprozess des Buchs gerade das ausgemacht, was es von anderen unterscheidet. Es ist keines dieser Bücher, die, wenn man sie zuschlägt, ein Kopfschütteln und die obligatorischen “es muss alles so furchtbar gewesen sein”-Gefühle aufkommen lässt. Stellenweise stand mir schon mal das Wasser in den Augen (note to self: solche Dinge nicht in der Öffentlichkeit lesen), weil Lilly in ihren Briefen und Tagebüchern so gewaltige Worte für ihre Gefühle zu Felice findet.

Bete nun Du für uns, mein einziger Mensch. Vielleicht spricht dann nur noch dieses Tagebuch von meiner großen Liebe. Großer Gott, laß uns uns wiederfinden. Mach du uns vergessen, gemeinsam, was wir gelitten haben. Großer Gott. Ich liebe Dich, Felice Schragenheim, bis in den Tod.

TL;DR ein ganz fantastisches, vielseitiges Buch, trotz des nahezu totgeschlagenen Genres.


Einsortiert unter:Rezensionen Tagged: 2014, Biographie, Kriegsliteratur, queer literature, Rezension
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