Christiane Stella Bongertz

DAS POSTING MIT DER MAUS ODER: VERLIEBT IN SCHWEDEN – DIRECTOR'S CUT (TEIL I)



Die Maus im Haus
kann ein ganz schön großes
Ding werden
Ihr wartet vermutlich ungeduldig (?) auf ein neues Posting. Die letzte Zeit war mit plötzlichen Krankenhausaufenthalten von Familienmitgliedern, ebenso unerwarteten Diebstählen (ich wollte über die Chronologie dieser dreisten Unglaublichkeit eigentlich ausführlich bloggen, aber der Detektiv in mir hält mich ab), missverstehenden Behörden, Papierkram, Weihnachtsvorbereitungen und natürlich der Kleinigkeit namens "Arbeit" reich gefüllt. Will sagen: Ich komme derzeit nicht wirklich zum Bloggen.
Doch als vor Kurzem in einer Expat-Facebook-Gruppe die Diskussion aufkam, wie man am besten Mäuse los wird, also nicht Moneten-Mäuse (da hätte ich keine größeren Probleme mit ...), sondern echte mit Fell – erinnerte ich mich daran, dass ich vor einiger Zeit in der Lovely-Books-Leserunde zu J.s und meinem Buch Verliebt in Schweden versprochen hatte, Outtakes aus dem Buch zu posten. Superidee, dachte ich!
Folgende winterliche Stelle aus dem "Director's Cut" ist der Kürzung zum Opfer gefallen. Wer das Buch gelesen hat, wird im letzten Absatz erkennen, wo sie eigentlich platziert werden sollte. Viel Spaß! Feedback erwünscht!




Dieses Team gab es damals noch
nicht, jedenfalls nicht als Team.
Fraglich, b das in diesem Fall was gebracht hätte:
Kater Z. verweigert jede Nahrung,
die nicht in getrockneter Knusperform daher
kommt
Stella: „Okay, da wären wir“, sage ich in Richtung meines Beifahrersitzes, während ich in den Feldweg in einem Waldstück kurz hinter Ängelholm und einem Ort namens Strövelstorp stoppe. „Ich lass dich jetzt hier raus. Und wehe, du tauchst wieder auf. Dann ziehe ich andere Saiten auf. Und du weißt, was das heißt…“
Vom Beifahrersitz ertönt ein leises Fiepen, das ich als Zustimmung deute. Das Display im Armaturenbrett vor mir enthüllt zwei unerfreuliche Fakten. Erstens: Die Temperatur draußen liegt bei −16 ° Celsius, Tendenz fallend. Zweitens: Es ist fast halb vier Uhr morgens. Das Display verschweigt allerdings, dass dies bereits die sechste Nacht in Folge ist, in der ich braungraue Fellpassagiere durch die verschneite Gegend kutschiere. Sechs Nächte in Folge, in denen ich mich frage, ob ich eigentlich noch alle Latten am Zaun habe. Ebenso schweigt sich das Display darüber aus, dass ich morgen Vormittag um 9:45 Uhr den Zug nach Lund nehmen muss, wo ich in den Fernverkehrszug nach Stockholm umsteigen werde, wo ich dann am Abend Simon treffen soll. Folglich habe ich noch etwa drei Stunden zu schlafen, wenn ich zurück in Lucylust bin. Falls ich nach dieser Nacht- und Schneeaktion wieder einschlafen kann, heißt das und das halte ich für einigermaßen zweifelhaft.
Ich seufze tief, nehme das Plastikröhrchen mit meinem Passagier vom Beifahrersitz, gehe einen Meter in den Wald hinein, stelle das Röhrchen auf den Boden und öffne die grüne Klappe. Die Maus flitzt über den Schnee und verschwindet im Dunkel des Unterholzes. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jetzt als Tierretter oder, ganz im Gegenteil, vollkommen herzlos fühlen soll. Kann eine Maus bei diesen Temperaturen überleben? Oder fällt sie sofort einem Raubvogel oder einem Fuchs zum Opfer? Wie würde ich mich fühlen, wenn mich jemand mitten in der Nacht mit ein paar Nüssen in ein Plastikröhrchen locken und dann kilometerweit von meiner warmen Behausung entfernt, im Wald aussetzte? Andererseits müssen ja auch Füchse und Raubvögel von irgendwas leben. Außerdem gibt es keine wirkliche Alternative.
Nachdem Simon das angegessene Obst entdeckt hatte, war die Sache nach seinem Urteil klart som korvspad. Klart som korvspad heißt wörtlich übersetzt ,Klar wie Würstchenbrühe’ und es ist unschwer zu erkennen, dass der Spruch das schwedische Pendant zur sprichwörtlichen ebenso klaren deutschen Kloßbrühe darstellt. Klar war: Ich hatte mindestens einen Untermieter der nagenden Zunft. Auch das nächtliche Rascheln und Trappeln, das mich in letzter Zeit häufiger verwundert und das ich immer wieder verdrängt hatte, hatte mit einem Mal eine Erklärung gefunden. Bei einer näheren Erkundung des Häuschens hatte ich entdeckt, dass nicht nur mein Obst in Mitleidenschaft gezogen war. Meine unter dem Bett gelagerte Reisetasche war angefressen und von kleinen Häufchen übersät. Außerdem hatte ich Fetzen von Küchenlappen an verschiedenen Stellen des Häuschens gefunden – laut einer beunruhigenden Info im Internet ein bevorzugtes Mäuse-Nestbaumaterial. Des weiteren war eine Kissenhülle angeknabbert und ein Handtuch perforiert. Das waren Momente, in denen ich meine beiden Kater noch mehr vermisste als sowieso schon.
Natürlich hatte ich Madde gleich pflichtbewusst Bericht erstattet. „Kein Problem, wir hatten auch gerade Mäuse auf dem Dachboden, davon haben wir noch Gift übrig, das kannst du haben“, hatte sie lächelnd entgegnet. Ich war entsetzt. „Gift? Um Himmels Willen, das will ich auf keinen Fall.“ „Aber du musst doch etwas gegen die Mäuse machen!“. hatte sie mich beschworen. „Die machen alles kaputt! Knabbern Stromkabel an und alles.“ „Ich lasse mir was einfallen“, hatte ich versprochen. Kleine unschuldige Tiere hinterhältig zu vergiften und möglicherweise andere etwas größere unschuldige Tiere, die die kleinen unschuldigen Tiere fangen und fressen – Katzen, Eulen, Füchse, Dachse und wer sonst noch alles Mäuse auf dem Speiseplan stehen hat – auch noch mit in den Tod reißen, ging jedenfalls gar nicht. Die beste Lösung des Mäuseproblems wäre vermutlich sowieso eine Katze, aber Lucylust war umzingelt von frei herumlaufenden Hunden – neben Lila und Karlsson gab es bei der Nachbarin ein kleines schwarzes Temperamentbündel. Ich hatte Malteser ebenso wie Rottweiler gesichtet und dem Schäferhund vom (gut aussehenden) Nachbarn schräg gegenüber traute ich ohne Weiteres zu, mit Katzen kurzen Prozess zu machen. Außerdem war ja nicht zu erwarten, dass ich hier noch länger als wenige Monate residierte und wo ich anschließend landete, war ja weiterhin unklar. In so einer Ungewissheit schafft man sich kein Haustier an.
Nein, die Maus – oder Mäuse – musste ich schon anders loswerden. Also recherchierte ich. In herkömmlichen Fallen werden die Mäuse im vermutlich seltenen Idealfall schnell und wahrscheinlich schmerzlos guillotiniert, aber allein die Vorstellung, dass das Ding nicht richtig traf und die arme Maus dann verletzt unter dem Drahtbügel hing, war genauso unerträglich wie die Giftversion. Schließlich stieß ich auf Lebendfallen. In der Annahme, nur ein bis zwei Untermieter zu haben, entschied ich mich gegen ein größeres Modell, mit dem man mehrere Mäuse auf einmal fangen kann und bestellte stattdessen ein handliches Plastikröhrchen mit Platz für jeweils eine Maus. Darin platzierte man einen Köder, zum Beispiel eine Nuss. Die Klappe ging zu, sobald der Nager sich daran zu schaffen machte. Anschließend musste man sich das putzige Tierchen lediglich noch schnappen und mindestens zwei, besser drei Kilometer weit weg kutschieren. Bei geringeren Distanzen, so las ich, finden die Kleinen nämlich nach einem mehrtägigen Gewaltmarsch problemlos ihre alte Behausung wieder.
Freudig stellte ich meine neue Errungenschaft bereits ein paar Tage später unter mein Bett, mit einem Stückchen Walnuss und einem Stückchen Birne als Köder. Zumindest bei der Birne war ich mir sicher, den Gusto zu treffen. Und dann wartete ich. Und wartete. Natürlich hatte ich einige wichtige Details nicht bedacht. So eine Maus sucht sich ihre Snacks vorzugsweise nicht, wenn ich mitten am Tag am Tisch sitze, Kaffee trinke und schreibe. In diesem Fall hätte ich meine Mitbewohner ja auch längst gesehen. So eine Maus zeigt sich auch nicht, wenn ich abends im Bett noch was lese oder morgens, kurz bevor ich sowieso aufstehen will. Nein, so eine Maus geht natürlich mitten in der Nacht auf Tour. Nach meinen bisherigen statistischen Erhebungen (beruhend auf sechs Fällen, wie gesagt, ein Ende ist noch nicht abzusehen) bevorzugt zwischen drei und halb fünf. In diesem Zeitfenster ertönte jedenfalls in den vergangenen Nächten ein deutliches ,Klack’, gefolgt von unermüdlichem Kratzen. Eine effektvolle Lautkombination wie sie schon in Hitchcocks „Die Vögel“ zur Anwendung kam. Vernimmt man so ein Geräusch in der tiefen Stille der Ängelholmer Nacht, hat man sofort einen Puls, als wenn man beim Zahnarzt eigentlich nur auf die nette Dame von der Zahnsteinentfernung wartet, dann aber statt derer Hannibal Lecter mit einer Bosch-Bohrmaschine den Raum betritt und die Tür – klack – hinter sich schließt. Die Dame von der Zahnsteinentfernung sitzt währenddessen eingeschlossen im Schrank im Behandlungszimmer und kratzt verzweifelt fiepend an der Tür. Ungefähr so einen Traum hat mein Gehirn sich nämlich schnell zusammengezimmert, bis ich endlich aufwachte. Wieder einschlafen ist mit so viel Adrenalin im Blut nicht nur ausgeschlossen, sondern auch laut Packungsbeilage der Falle unverantwortlich: Das Tier muss möglichst unmittelbar transportiert werden und soll auf keinen Fall länger als zwei Stunden in dem engen Röhrchen sitzen. Alles andere sei Tierquälerei und das ist ja genau das, was ich hier vermeiden will…
Wenige Stunden nach meiner letzten Maus-Umsiedlung sitze ich nun für etwas länger als zwei Stunden in einem etwas größeren Röhrchen der Schwedischen Eisenbahn, das nach Stockholm fährt. Die freundlich lächelnde Schaffnerin sieht aus wie Frida von Abba, doch als ich mein ausgedrucktes Online-Ticket gebe erstirbt ihr Lächeln. „Das ist alles, was Sie haben?“ sagt sie auf Schwedisch. Ich nicke und ahne nichts Gutes. So „problemlos übertragbar“ wie Simon meinte, scheint die Fahrkarte mit dem auf seinen Namen fest gebuchten Sitzplatz doch nicht zu sein. „Ich nehme an, Sie sind nicht Simon Carl Sjöberg?“ fragt sie mit leicht ironischem Unterton, während Sie mit einem perfekt manikürten Nagel auf den Namen auf dem Ausdruck zeigt. Sie wartet meine Antwort nicht ab: „Andernfalls würde ich Sie nämlich jetzt nach Ihrem Ausweis fragen, um das Ticket zu verifizieren.“ Ich versuche, Ihr auf Schwedisch zu erklären, dass Simon mir das Ticket geschenkt hat, verhaspele mich, fange an zu schwitzen und setze neu an. Plötzlich unterbricht sie mich mitten im Satz. Strahlend. Auf Deutsch. „Oh, Ssie ssind aus Deutschland! Ich habe einige Ssemester in Köln sstudiert.“ „Da hab ich sechs Jahre gelebt.“ sage ich wahrheitsgemäß und schäme mich. Allem Anschein nach klinge ich auf Schwedisch wie Lothar Matthäus auf Englisch. „Ganss tolle Sstadt, Köln. Eine Ssuperatmosphäre.“ Immerhin hat mein Radebrechen die Laune der Schaffnerin merklich verbessert. „Sie sprechen sehr gut Deutsch.“ sage ich. Ein gezieltes Kompliment kann sicher nicht schaden.
„Einen Augenblick bitte!“ sagt sie, dann verschwindet sie mit dem Ausdruck in der Hand. Es vergeht eine sehr lange Weile, in der wir an diversen Stationen halten und ich in meinem Buch – Stieg Larssons „Verblendung“ – rund 100 Seiten weiterkomme

( ...)


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