Christiane Stella Bongertz

MORGENS UM ACHT IST DIE WELT NOCH IN ORDNUNG? DAS SCHWEDISCHE ABIFEST – MAL GANZ NÜCHTERN BETRACHTET



Mit einer solchen Mütze gepocht und
ganz sicher nicht nüchtern: schwedische
Abiturienten
Das da oben ist eine studentmössa, eine Abiturientenmütze. Heute ist in Helsingborg nämlich studenten, wie in Schweden die Abiturfeierlichkeiten in Antizipation des sich anschließenden Studiums heißen. Statt nun aber bescheiden an der Schule einen Abistreich zu organisieren, setzen sich der schwedische Abiturient und die schwedische Abiturientin eine solche Mütze auf und lassen sich auf offenen Lastwagen zusammen mit erheblichen Mengen Alkohol (sowie erheblichen Mengen Fußballtröten und begleitet von erheblich mieser Musik) durch die Stadt kurven. Viele Abiturienten und auch solche, die es in ein paar Jahren erst noch werden wollen, fangen allerdings bereits Tage früher mit der Feierei an. Z.B. die Jungs aus dem Haus gegenüber, die wir zunächst am Montag grölend und mit einem dieser beängstigenden Einflöß-Trichter für Hochprozentiges beobachten konnten. Dieselben Jungs erspähten wir dann am Dienstag, wie sie eher leise und ziemlich blass herumschlichen.

Auf den ersten Blick scheint all das wenig damit zu tun zu haben, dass ich heute morgen um acht eine Kontrolluntersuchung bei der Hebamme – der barnmorska – hatte. Ich war, um es vorsichtig auszudrücken, eher mittelmäßig gelaunt, denn es stand eine vorsorgliche Untersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes auf dem Programm. Darum hatte ich am Morgen weder Nahrung noch Kaffee zu mir nehmen dürfen – und zwar nicht mal den entkoffeinierten, mit dem ich derzeit meine Brühe verdünne. Außerdem war ich um kurz vor vier in der Nacht aufgewacht und hatte bis vor kurz vor sechs nicht wieder einschlafen können. Ich war also hundemüde und hatte Hunger bis unter die Arme. Die Laune wurde auch angesichts der Aussicht, dass mir noch mindestens zwei nüchterne Stunden bevorstanden, nicht besser: Das ist nämlich die Zeitspanne, die man nach dem "Genuss" eines Glases Zuckerwasser untätig herumsitzen muss, damit die Untersuchung relevante Ergebnisse bringt. Das Ganze wurde nur dadurch gemildert (das allerdings erheblich!), dass der weltbeste Mann, nämlich J., darauf bestanden hatte, mit mir aus Sympathie zu fasten und mich zu begleiten!

Doch was geschah, als ich gerade auf den Parkplatz vor der barnmorskemottagning einbiegen wollte?
Ich wurde angehalten.
Von der Polizei.
Ich ließ das Fenster runter.
Der Polizist brummte: "Nykterhetskontroll!"
Eine Alkoholkontrolle.
Oder, genauer übersetzt, eine "Nüchternheitskontrolle".
Morgens ums acht.
Vor der Hebammenpraxis.
Weil irgendwelche pubertierenden Endgymnasiasten sich mit Trichtern seit Tagen die Birne zudröhnen.

Zwar konnte man nicht nüchterner sein als ich es in diesem Augenblick war (und zwar, wie gesagt, in jeglicher Hinsicht!), aber da ich schon etwas spät dran war, deutete ich auf meinen inzwischen doch sehr deutlich sich wölbenden Bauch, in der Annahme, dass der Beamte mich dann sofort durchwinken würde:
"Sie sehen vielleicht: Ich bin schwanger!"
Meine Annahme erwies sich als irrig.
"Tut mir leid, Sie müssen trotzdem pusten!"
Ich kann mir nur vorstellen, wie mein Blick ausgesehen haben muss, aber vermutlich ist er nicht so ausgefallen, als würde ich mein Gegenüber für einen mitdenkenden Menschen halten. Mutmaßlich nicht mal für einen denkenden.
Ich kann nämlich leider nur sehr schlecht verbergen, was so in mir vorgeht.
Der Polizist hielt mir beharrlich das Röhrchen entgegen.
Okay, gut, ja, wenn der Herr Wachtmeister das nun unbedingt wollte – ich pustete also.
Leises Kichern drang derweil vom mit dem weltbesten Mann – nämlich J. – besetzten Beifahrersitz.
Der Polizist warf einen ernsten Blick auf das Messgerät.
Dann erklärte er ebenso ernst: "Sie sind nüchtern!"
"Na, das ist ja eine Überraschung!", entgegnete ich.
Und schon war die erste Alkoholkontrolle meines doch mittlerweile recht langen Lebens vorüber.
Morgens um acht.
Schwanger.
Vor der Hebammenpraxis.
Wer hätte das gedacht?

Auch die weiteren Kontrollen des Morgens (auf Diabetes, Eisen, Eiweiß) ergaben nur Bestwerte. Zum Glück ließ uns die Hebamme die zwei Stunden Wartezeit im gerade ungenutzten Gemeinschaftsraum verbringen – schlummernd, auf dem Sofa (ich) bzw. Gymnastikmatten (J.). Als wir dann erfrischt endlich um halb elf zuhause ankamen, schmeckte der Kaffee (ausnahmsweise gönnte ich mir den echten Stoff ohne Decaf-Anteil) und das am Morgen noch selbst gebackene Brot besonders gut. Die Welt war wieder in Ordnung.

Gerade wird gegenüber übrigens weiter gefeiert. Aber morgen ist Nationalfeiertag. Und da muss ich morgens um acht wirklich nirgendwohin.




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